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Flamenco

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Mein Herz schmerzt schon ein wenig, als ich mich auf den Weg zu meinem letzten Tanzbesuch mache. Dann aber betrete ich die „Freiraum Studios“ in der Nadorster Straße - und mein Anflug von Traurigkeit ist sofort vergessen.

An einem grauen, kalten Februarmorgen schwappen mir hier südländisches Flair und norddeutsche Fröhlichkeit entgegen. Im ganzen Raum verteilt warten rund 15 Frauen in roten und schwarzen Kleidern und Röcken, angeregt plaudernd, sich zur Begrüßung auf die Wangen küssend. Eine Tänzerin eilt mit einer roten Stoffblüte auf mich zu. Flink verknotet sie die Blume in den Fransen meines T-Shirts. Im nächsten Moment schon schlüpfe ich einen langen, schwarzen Rock, den Flamencolehrerin Flavie Cardona mir reicht. Ich bin bereit.
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Wir wärmen uns auf, zuerst die Arme: Wir bewegen sie zur Seite, nach oben, nach unten. Elegant, aber mit Spannung. Verzierend, aber mit viel Kraft. Die Ellenbogen zeigen dabei nach außen, die Handflächen liegen gekrümmt aneinander. Langsam lassen wir die Hände kreisen, mit gespreizten Fingern, mal berühren sich die Ballen, mal die Knöchel. Die Füße sind dran. Wir lernen die „Golpes“ (Schläge), bei denen wir die ganze Fußsohle auf den Boden fallen lassen. Es knallt.

Mir wird nicht warm, mir wird heiß. Vor allem an den Füßen. Wenn ich jetzt eine Stunde lang Golpes übe, tun mir nachher die Sohlen weh. Oder habe ich nur die falschen Schuhe an?
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„Flamenco ist einfach schön“, sagt Michaela Lienesch. „Egal wie alt man ist oder wie man gebaut ist – der Tanz ist immer anmutig. Er hat etwas sehr Weibliches.“ Seit zwei Jahren tanzt die 48-Jährige bei Flavie mit. Für Flamenco entschied sie sich zunächst auch aus praktischen Gründen: Ihr Mann hatte keine Lust zum Tanzen. Also suchte sie einen Kurs, bei dem sie nicht auf einen Partner angewiesen ist - und wurde hier fündig.

Mittlerweile weiß Michaela: „Flamenco ist gut für die Seele.“ Schon, wenn sie die Arme ausbreite, ja nur dann, verschwinde die Traurigkeit, die Wut. Die Seele bekomme mehr Luft.

Durch Flamenco könne man alle Beklemmungen wegtanzen. In einer eigenen Welt, weit weg vom Alltag. „Der Tanz, die Musik, spricht meine Seele an“, sagt Michaela.
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„Jetzt lernen wir Palmas“, kündigt Flavie an. So nennt man beim Flamenco das In-die-Hände-Klatschen. Die Palmas können laut und knallend, aber auch leise und dezent sein. Um einen harten Klang hinzubekommen, müssen wir austüfteln, an welchen Stellen wir die Handflächen gegeneinanderschlagen. Auch die sind schnell warm und kribbelig. Flamenco ist wie eine Massage für den Körper. Dabei geht Flavies Körper-Percussion jetzt erst richtig los.
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Wir klatschen in die Hände, auf die Oberschenkel, machen Golpes, gehen im Kreis aufeinander zu. Ich merke: Der Rhythmus ist beim Flamenco die große Kunst. An den richtigen Stellen langsamere, dann plötzlich wieder schnellere Schritte zu machen, gezielt Pausen und Golpes zu setzen, ist für mich als Anfängerin eine Herausforderung. „Manchmal hilft es, nur auf die Musik zu hören, anstatt zu zählen“, rät Flavie.

Sie bewegt sich zu unseren Körper-Percussions. „Wenn ich stoppe, müsst ihr auch eine Pause machen“, erklärt die Lehrerin und tanzt weiter. Als sie wieder innehält, hören alle Frauen auf zu klatschen. Alle, außer mir. Mein lautes Knallen schallt noch durch den Raum, als Flavie schon fast wieder neu ansetzt. „Ich war’s!“, gebe ich zu und die Tänzerinnen lachen.

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Wir lernen die Grundschritte des Volkstanzes Sevillanas: zwei Schritte nach rechts, wieder einen zurück und nach links drehen – dann der gleiche Schritt nach links. Auch hier ist der Rhythmus die Herausforderung. Die Arme muss ich noch vernachlässigen, das würde mich überfordern.

„Die Fußtechnik bei den Sevillanas ist schon schwierig“, meint auch Michaela. „Es dauert seine Zeit, bis man die Schritte kann.“ Aber: „Man kann sie überall auf der Welt tanzen“, sagt Flavie. Auf einer Party in Boston tanzte sie mal mit einer Spanierin zusammen, ganz einfach, ganz locker war das.



 



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Während ich kämpfe, sehen die Sevillanas bei den anderen schön und graziös aus. Die Körperhaltung der Frauen ist aufrecht, stolz, immer weit nach oben geöffnet. Ich korrigiere meine eigene Haltung, öffne mich, strecke mich nach rechts und links, nach oben. Und fühle das, was Michaela so schön beschrieb: Ich entspanne mich, werde größer, meine Seele wächst in den Raum, nimmt sich viel Platz und atmet durch.
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Die junge Tänzerin Rocio Molina (*1984 Málaga) erfindet den traditionellen Flamenco neu.
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Rocio Molina & La Tremendita - Bulerias

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„Flamenco ist der einzige Tanz, der mich gefesselt hat“, sagt Franziska Sackmann. Die 24-Jährige aus Wilhelmshaven hat schon mit sechs Jahren angefangen. Zwei Bekannte ihrer Grundschule boten damals eine Flamenco-AG an. Egal, ob fröhlich-feurige Alegrías oder eine traurig-gesetzte Soleá: „Beim Flamenco kann ich meine Gefühle austanzen", sagt Franziska. Die kommen mit der Bewegung zum Vorschein.

„Ich kann beim Tanzen jemand anders sein, ein bisschen wie eine Schauspielerin auf der Bühne.“ Auftritte gehören für sie dazu, auch wenn sie vorher immer „extrem aufgeregt“ sei. Auf der Bühne verfliege die Nervosität schnell. „Anschließend weiß ich meistens gar nicht mehr, was ich getanzt habe", sagt Franziska. Das Wichtigste sei, weiterzumachen, im Takt zu bleiben, auch wenn kleine Fehler passierten.
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Flamenco ist ein junger Tanz. So wie man ihn heute kennt, entwickelte er sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Seine Wurzeln gehen aber bis ins 18. Jahrhundert zurück. Zu den Ursprüngen des Flamenco gibt es viele Theorien. Vieles weist darauf hin, dass die "Gitanos" die Musik und den Tanz pflegten und verbreiteten. Sie waren im 15. Jahrhundert nach Spanien eingewandert. Da die Gitanos indischer Herkunft waren, ist wahrscheinlich, dass die kontrollierte Fußarbeit (Zapateados) ihren Ursprung im indischen Tanz hat. Jüdisch, maurisch, afrikanisch - die Einflüsse des Flamenco sind jedoch vielfältig.

Das erste Flamenco-Café eröffnete der Sänger Silverio Franconetti 1881 in Sevilla. Dort kam es zum Austausch der Künstler und zur Fortentwicklung des Flamenco. Nach Ende der Franco-Diktatur erlebte die Musik eine Art Renaissance. Der Sänger El Camarón besang in seinen Liedern das Leid der Gitanos, die besonders viele Drogenopfer zu beklagen hatten. Heute gehört Flamenco zum Immateriellen Weltkulturerbe und wird in Andalusien seit 2014 offiziell an Schulen gelehrt.
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El Camaróns Album "Soy gitano" (1989) ging als das meistverkaufte Flamenco-Album in die Geschichte ein. Das Video zeigt eine sehr emotionale Präsentation des Songs.
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Camarón de La Isla: Soy gitano (Festival de Montreux 1991)

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Adrina ist gerade mal neun Jahre alt und tanzt schon seit drei Jahren Flamenco. „Ich hab das zum ersten Mal beim Bürgerbrunch gesehen“, erzählt sie. „Da wollte ich es ausprobieren.“ Sie kam zu Flavie. Am Anfang sei es schwierig gewesen, die verschiedenen Fuß- und Armbewegungen zu lernen. „Aber es wurde immer besser“, sagt Adrina. Das hat ihr das Tanzen vor Augen geführt: Dass „jeder besser da draus wird“ - dass man dazulernt, wenn man dranbleibt.

„Flamenco ist ein ganz toller Tanz“, sagt die Neunjährige und lächelt. Sie liebt es, mit der Gruppe zusammen zu sein, ab und zu aufzutreten. Freundinnen von ihr sind auch schon mal mitgekommen, haben Flamenco ausprobiert. Weitergemacht haben sie dann nicht, jeder hat ja so sein Ding, sein Hobby.
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Die Stunde erreicht ihren Höhepunkt. Flavie sucht ein paar fortgeschrittene Tänzerinnen aus der Gruppe heraus. Sie sollen sich in der Mitte des Raumes aufstellen. „Los, das muss schneller gehen“, treibt Flavie die Frauen mit der herzlichen Strenge einer Tanzlehrerin an. Die nehmen es gelassen.

Flavie ist gebürtige Oldenburgerin und hat auf vielen Bühnen der Welt getanzt. Ihre Grundausbildung machte sie als Kind im Jazz, Ballett und Charaktertanzen - darunter versteht man folkloristische Tänze verschiedener Nationen. Als Jugendliche sah sie eine Aufführung mit dem andalusischen Tänzer Manuel Moreno. „Da traf mich der Schlag“, erzählt Flavie. „Ich habe mich sofort in ihn verliebt.“ Und in den Flamenco.
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Mit Flamenco startete Flavie so richtig durch, als sie mit 18 Jahren nach Hamburg zog. Dort traf sie dann auch ein zweites Mal der Schlag, wie sie erzählt: Im Cirque de Soleil sah sie zwei Tänzerinnen, die mit Boleadoras, zwei Seilen mit je einer Kugel am Ende, tanzten. „Ich war beeindruckt und wollte die beiden kennenlernen", erinnert sich Flavie. Sie stellte den Kontakt her, die drei Frauen tauschten sich aus und freundeten sich an.

Wenig später hatte Flavie wieder Kontakt zum Cirque du Soleil. Schließlich wollte die Artistik die Oldenburgerin tanzen sehen. Kurzum: Sie wurde Teil des neuen Casts und reiste mit ihrer Partnerin und den Boleadoras durch Kanada, Singapur und Australien. „Das war die schönste Zeit meines Lebens“, sagt sie – außer ihrer Zeit in Spanien, wo sie immer wieder lebte.
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„Der Flamenco ist meine Leidenschaft“ , sagt Flavie. Seit rund sechs Jahren lebt sie wieder in Oldenburg, tritt hier auf und unterrichtet. „Ich finde es schön, wie die Leute beim Tanzen aus sich rauskommen“, sagt sie. Beim Flamenco sei die Gemeinschaft wichtig. „Herumgezicke gibt’s hier nicht.“

Egal, ob Mädchen oder Erwachsene, Anfängerin oder Fortgeschrittene: Im Tanz findet jede Frau ihre Rolle. Paarweise haben sich nun einige Frauen in der Mitte aufgestellt, die anderen verteilen sich drum herum in einem Halbkreis - oder einem Halbmond, wie Flavie es beschreibt.

„Ihr gebt den Rhythmus vor“, erklärt sie und zeigt, wie wir die Golpes und Palmas akzentuieren wollen. „Und denkt dran: Ihr seid genauso wichtig wie die, die tanzen!“
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Nena Soeprapto-Jansen, die mir am Anfang die rote Blüte reichte, lächelt mir zu. Die 59-Jährige stammt aus Buenos Aires und liebt den temperamentvollen Rhythmus des Flamencos. „Beim Tanzen kann ich mein Körperbewusstsein erhöhen“, sagt sie. „Was man im Alltag verlernt, funktioniert hier: Ich bin aufmerksam in den Bewegungen, ich erlebe sie als Prozess.“ So trainiere sie nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. „Zum Senioren-Gehirntraining muss ich nicht gehen!“

Durch einen Film kam Nena zum Flamenco: Sie schaute sich im Oldenburger Casablanca „La Chana“ an, die Geschichte über das Leben der Tänzerin Antonia Santiago Amador. Vor der Vorstellung trat Flavie im Kino auf. Nena war hingerissen und ging zur nächsten Flamenco-Schnupperstunde. Hier genießt sie das südländische Flair, die fröhliche Stimmung, das gute Gruppengefühl. „Flavie ist streng, aber herzlich“, meint Nena. „Sie fordert uns und das finde ich gut.“
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Was jetzt passiert, ist Magie: Die Musik spielt, wir klatschen im Rhythmus, die Frauen in der Mitte tanzen Sevillanas. Klappern mit ihren Kastagnetten. Lassen die Fächer durch die Luft gleiten.  Wir rufen immer wieder „Olé!“ und „Guapa!“ und „Eso es!“, um die Tänzerinnen anzufeuern. Es ist eine riesige Geräuschkulisse, ein Szenario wie bei einer spanischen Fiesta, ein zauberhafter Rausch, der viel zu schnell vergeht.

Flamenco bedeutet Stolz. Tiefe Gefühle. Leidenschaft. Er betont das Rebellische, das irgendwo in jeder Frau steckt.

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Aber auch Männer können Flamenco tanzen. Zurück im Büro versuche ich, meinen Kollegen und Tanzfreund Norbert zu bezirzen: "Du könntest vielleicht der erste Mann in Oldenburg sein, der Flamenco tanzt. Das wäre doch toll!" Norbert überlegt. "Damit hättest du bei den Ladys bestimmt einen Stein im Brett." Doch Norbert schüttelt den Kopf. Seine Entscheidung ist gefallen - und meine auch. Die Suche nach dem perfekten Tanzkurs ist beendet - und der Sieger ist...

Lesen Sie hier, welcher Tanz uns am besten gefallen hat!




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Ich habe einen überaus tanzwütigen Freund. Bei jeder guten Gelegenheit – Disco, Stadtfest, Grünkohltour – schleudert er mich so wild über die Tanzfläche, dass mir nach spätestens zwei Runden schwindelig ist. Ohne Gnade! Dieser Freund fragte mich also, ob wir nicht mal einen Tanzkurs zusammen machen wollen. Ja klar! Warum nicht? Selbst bei unserem gekonnten Freestyle ist noch Luft nach oben.

Aber welchen Tanz lernen wir bloß? Es gibt ja so viele. Die Lösung lag auf der Hand: Ich tanze mich einmal quer durch Oldenburg – und dann entscheiden wir. Beziehungsweise ich. Denn das letzte Wort liegt bei mir, wie mir der Freund großzügigerweise versicherte. Bis ich den perfekten Kurs für uns gefunden habe, teste ich also verschiedene Stile und erzähle hier von meiner tänzerischen Reise durch die Stadt.
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