Inga tanzt durch OldenburgLindy Hop! Mit Bounce und Twist in die 20er-Jahrevon Inga Wolter
Wir – das sind mein Kumpel und Kollege, der unbedingt mal einen Tanzkurs machen will, und ich. Heute ist Premiere: Er tanzt zum ersten Mal mit. Ich bin gespannt, wie sich der Verfechter des gepflegten Freestyles so anstellen wird, wenn es darum geht, feste Schritte und kleine Abfolgen zu lernen.
Sportlich und gemeinschaftlich geht es los: Wir stellen uns in einem großen Kreis auf und fassen uns an den Händen. Ein bisschen ungewöhnlich, aber Tanzlehrer Jan Gundermann (29) erklärt gleich zu Anfang: „Lindy Hop ist ein Social Dance.“ Tanzpartnerwechsel sind hier an der Tagesordnung.
„Der Tanz ist gleichberechtigter als andere", sagt Jan. "Auf Partys führen hier auch mal die Frauen.“ Darum sprechen die Lindy Hopper nicht von „Frau“ und „Mann“, sondern von „Lead“ und „Follow“ – einer führt, der andere folgt. Jan und seine Tanzpartnerin Imke Rulik (32) machen es vor.
Vor fünf Jahren tanzte Jan zum ersten Mal Lindy Hop. Der Kurs war ein Projekt seiner WG. "Wir wollten was zusammen machen und meldeten uns beim Hochschulsport Bremen dafür an", erzählt er. Einige Mitbewohner tanzten sehr lange, am meisten Blut aber leckte Jan. Schließlich begann er, Lindy Hop zu unterrichten und sich damit selbstständig zu machen.
"Lindy Hop passte gut ins Studentenalter", sagt er. "Zum Feiern, zur neu gewonnenen Freiheit, zum Loslösen von der Familie, was damals Thema war." Auch gefällt ihm, dass Lindy Hop den gleichberechtigten Kontakt zwischen den Tanzpartnern fördert. "Das hängt mit der Geschichte des Tanzes zusammen", erklärt Jan. Lindy Hop entstand in den 20er-Jahren in den Ballsälen von New York, die allen Bevölkerungsgruppen - auch Minderheiten - offen standen. Die Öffnung der Rollenbilder und der offenere Umgang mit Homosexualität waren ein Ausdruck des Freiheitsdranges.
Der Ursprungstanz des SwingLindy Hop - warum heißt der so?
Es kann aber auch sein, dass der Lindy Hop erst nur "Hop" hieß. "Lindy" soll dann 1927 zur Erinnerung an Lindberghs Atlantik-Überquerung hinzugefügt worden sein.
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Zum Wochenend-Workshop haben sich viele Pärchen angemeldet, ältere und jüngere, tanzerfahrene und weniger erfahrene. Dabei sind auch zwei, die erst übers Tanzen zu einem Liebespaar geworden sind: Petra Mogck (51) und Frank Ortgies (50). Seit 19 Jahren sind die beiden zusammen.
Sie hatten sich schon vorher kennengelernt und angefreundet, erst beim Tanzen funkte es aber so richtig. Irgendwann lud Frank Petra zu einer Hochzeit ein. „Da haben wir unsere Tanzschritte zusammengeschmissen und ganz lange miteinander getanzt“, erinnert sich Frank.
Mehrere Jahre tanzten die beiden argentinischen Tango, bis Petra feststellte, dass ihr das nicht mehr passte. Tango ist ebenfalls ein Social Dance, gleichzeitig aber sehr nah, intim. „Diesen intensiven Kontakt wollte ich aber nur noch zu Frank“, sagt die 51-Jährige. „Ich wollte, dass das Tanzen etwas Besonderes bleibt.“ Darum suchten sie sich jetzt den Workshop aus. Sie hoffen, dass Lindy Hop ihr neues, gemeinsames Hobby wird. Die ersten Schritte werden sie wohl zu Hause in der Küche üben. „Bis unsere Kinder dazwischen gehen. Die finden es unglaublich peinlich, wenn wir tanzen.“
Wir fühlen uns in die Musik ein, tänzeln nach rechts, nach links – bis Zeit für den Grundschritt ist: "Bounce, Triple, Triple", sagt Jan an. Das bedeutet: ein Schritt zurück, dann drei kleine Hüpfer und noch mal drei kleine Hüpfer. Bei Jan und Imke sieht das leicht und lässig aus. Bei Norbert und mir sieht es aus, als würden zwei Hasen über eine Wiese hoppeln.
Aber gehüpft wie gesprungen – das wird sich mit der Zeit schon einschleifen. Viel Bewegungsfreiheit habe ich allerdings nicht. Imke sieht das und schreitet sofort ein: „Du musst deiner Tanzpartnerin mehr Raum lassen", sagt sie zu Norbert.
Wir lernen Drehungen und Platzwechsel, immer schön im Bounce-Triple-Triple-Rhythmus. Mal dreht die Frau, mal der Mann. Das macht immer mehr Spaß, weil wir eine Ahnung von der Dynamik des Tanzes bekommen, auch wenn es bei uns noch nicht so perfekt klappt. „Guckt mal in die Kamera“, ruft Fotograf Christian grinsend – und schon sind wir raus.
Aber wir geben alles, um flugs wieder reinzukommen, in die Schritte, in den Rhythmus, in den Fluss des Tanzes. „Ihr müsst immer den Bounce in der Musik spüren“, sagt Jan. Mal ist die Musik eindeutig, dann hört man den dumpfen Akzent besser, mal ist es sehr schwierig, gerade für uns zappelige Anfänger.
Damit wir flexibler werden, üben wir die erste kleine Bewegungsabfolge einmal durch den ganzen Saal hindurch. Nach jedem Durchgang wechselt der Follow weiter zum nächsten Partner. Eine schöne Idee, aber für viele ist das noch ein bisschen viel. Gerade die Männer, die in der führenden Rolle erst noch mehr Sicherheit gewinnen wollen, fühlen sich überfordert. Auch Wirbelwind Norbert fühlt sich nach der ersten Runde durch den Saal etwas durchgeschüttelt.
Ich habe viel gelernt, nicht nur tänzerisch. Alwin Kölblinger, Opernsänger beim Staatstheater und großer Jazz-Fan, kann nämlich tanzen und gleichzeitig plaudern. Als klassischer Musiker konnte er mit Dancefloor-Musik nie was anfangen - zum Beispiel verschiedene Taktarten. "Aber was wir hier hören, ist intelligente Musik. Sie erzählt Geschichten." Diese Art zu musizieren spreche ihn mehr an, sei authentischer.
Alwin ist mit seiner Frau Dorota (39) hier. Sie teilt seine Liebe zur Musik, ist Geigerin und Harfenistin. „Der Workshop war Alwins Geschenk zum 50. Geburtstag“, erzählt sie. Und eine gute Gelegenheit, mal wieder auszugehen. Nach fünf Jahren, zum ersten Mal ohne Kinder. Zusammen getanzt haben die beiden vorher nur mal bei einer Premiere, beim Presseball und bei ihrer Hochzeit. Auch Alwin und Dorota wollen zu Hause vortanzen. „Unser Kleiner wird begeistert sein“, sagt Alwin. „Der ist sowieso nur am Bouncen.“ Auch der Twist, den wir jetzt lernen, werde den Kindern gut gefallen.
Dabei bewegen wir die Füße abwechselnd schräg nach links und schräg nach rechts und queren so die Tanzfläche. Allein der Twist funktioniert gut. Aber den in den Tanz einzubauen, stellt Norbert und mich vor ein Rätsel. Statt mit einem sportlich-eleganten Sprung in den Twist hineinzugleiten, fallen wir wie zwei Kartoffelsäcke in den Schritt und bewegen die Füße in entgegengesetzte Richtungen. Wir brechen in schallendes Gelächter aus. „Lassen wir das lieber“, tuschel ich Norbert zu. „Drehungen können wir besser.“
Wir üben, üben, üben – und es klappt nahezu perfekt.
Nach drei Stunden Tanzen mit kurzer Pipi- und Kaffeepause liegt unsere Konzentration am Boden. So ein mehrstündiger Workshop ist schon anstrengend, aber auch ergiebig. Norbert hatte ein bisschen mit Schritten und Abfolgen zu kämpfen.
„Ich tanze sonst eher Freestyle“, erzählt er Jan am Ende. „Das ist eigentlich ja auch viel besser“, sagt der Tanzlehrer. „Aber erst musst du durch die Strukturen durch.“ Und dann? Dann geht’s richtig rund. Ich finde Lindy Hop super, Norbert ist sich nicht ganz sicher, ob das sein Tanz wird. „Hm, ich weiß noch nicht, mit diesem vielen Rumgehüpfe…“ Die Suche nach dem perfekten Kurs für uns beide geht also noch weiter.
Mehr Infos zum Lindy Hop in der Kulturetage
Lindy Hop im Alhambra: Montags, 20.30 bis 21.30 (Offener Szenetreff), Infos unter lindyhop.oldenburg@gmail.com
Fotos und Video: Christian Ahlers
Wie es zu dieser Serie kamDas Ende des Freestyles
Aber welchen Tanz lernen wir bloß? Es gibt ja so viele. Die Lösung lag auf der Hand: Ich tanze mich einmal quer durch Oldenburg – und dann entscheiden wir. Beziehungsweise ich. Denn das letzte Wort liegt bei mir, wie mir der Freund großzügigerweise versicherte. Bis ich den perfekten Kurs für uns gefunden habe, teste ich also verschiedene Stile und erzähle hier von meiner tänzerischen Reise durch die Stadt.
Sie tanzen? Und wollen Inga Wolter von Ihrem Hobby überzeugen? Dann melden Sie sich unter inga.wolter@nwzmedien.de.