Inga tanzt durch OldenburgTango! Die Sehnsucht nach einer anderen Weltvon Inga Wolter
Der Mann führt. Und ich muss mitmachen. Das habe ich schon in den ersten drei Minuten verstanden. Ob das ein Tanz für mich und meinen tanzwütigen Freund ist? Ich bin auf der Suche nach dem perfekten Kurs - und heute steht Tango auf dem Programm.
Die Reise beginnt im Studio „Tanztraum Oldenburg“ an der Ofener Straße, bei Elena Vaychik (41), einer zierlichen Frau mit langen, schwarzen Haaren.Vor 18 Jahren kam sie für die Liebe nach Deutschland.Tango ist ihr Leben. Elenas Welt ist rot und golden und plüschig. Schön hier! Ich lasse mich auf einem der königlich-gemütlichen Stühle nieder, ein bisschen kribbelig, was jetzt gleich hier passieren wird.
Warum also nun Tango?
„Meine Vorstellung war: Tango kann man auch noch mit 90 tanzen“, sagt Hellen und lacht. „Tango ist was Besonderes“, meint Gerd. Hellen: „Er ist komplett anders als die meisten Standardtänze.“
Das merke ich auch, als ich meine ersten Gehversuche mache. Denn darum geht es beim Tango, ums Gehen. Sicher und elegant soll es aussehen. Geradeaus gehen ist so schwer!
Was mein tanzwütiger Freund durch deutliche Armbewegungen, Schieben und Drücken, ansagt, geschieht hier subtiler. Tänzer Gerd beschreibt es treffend: „Beim Standard reiße ich die Frau mit den Armen hin und her.“ Beim Tango tanze man mehr mit den Füßen. „Das Führen muss durch den ganzen Körper kommen, man muss den Flow spüren.“ Der muss erst einmal bei mir ankommen.
In die Adern fließen. In den Kopf.
Manchmal ist es mehr ein Stolpern. Oder ich zögere, weil ich nicht weiß, wie es weitergeht. Elena zeigt die verschiedenen Möglichkeiten der „Umarmung“, also der Tanzhaltung. Die kann offen sein, in V-Haltung oder geschlossen, also nah. Thomas bringt mir die ersten Schritt-Kombinationen bei. Den Kreuzschritt. Den finde ich schon elegant. Aber ich muss höllisch aufpassen, dass ich nicht über meine Füße stolpere.
Einmal verhaken sich die Reißverschlüsse meiner Stiefel. Schlimmer ist, dass ich manchmal auch Thomas’ Füße treffe. Er nimmt’s gelassen und höflich, lacht und lächelt und freut sich über erste kleine Fortschritte. Ein Gentleman. „Schuld ist immer der, der führt“, meint Hellen nur dazu.
In Argentinien bedeute Tango für jeden Menschen etwas anderes. „Einige erinnern sich, dass ihr Opa die Musik auf dem Akkordeon-ähnlichen Bandoneon gespielt hat. Andere, dass die Mutter dazu das Frühstück vorbereitet hat.“ Was bedeutet der Tango für Elena?
„Fernweh.“
Sie erinnert sich noch genau: Als sie ein kleines Mädchen war und mit einer Weltkarte daheim auf dem Boden lag, fiel ihr Blick als erstes auf Buenos Aires. Mit sechs Jahren fing sie mit dem Tanzen an, mit Ballett und dann Turniertanz. Aber ihre Sehnsucht galt früh dem Tango. Bis daraus Liebe wurde.
Wie der Tango entstand
1870 wurde diese bei Straßenfesten aufgeführt. Weil es dort immer wieder zu Schlägereien kam, gründeten die Tänzer Tanzhallen, in denen die Entwicklung des Tangos seinen Lauf nahm. Seit 2009 gehört der Tango zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit der UNESCO.
Nähe.
„Man muss die Leute anfassen“, sagt Elena. „,Oft erschrecken sie, wenn ich sie zum ersten Mal in die Tango-Umarmung nehme. Irgendwann aber freuen sie sich.“ Sie warten dann sogar auf ihre Umarmung.
Christel und Frank wollen auf ihrer Hochzeit einen Tango als Ehrentanz tanzen, als Überraschung. Walzer könne ja jeder. Tango sei etwas Besonderes. Weil er so gefühlsbetont ist. Sie „stolperten“ in einem Standard-Tanzkurs über den Tango. „Die Musik und das Gefühl haben uns eingefangen“, sagt Frank.
„Es sind die Schuhe!“, sagt Marzenna. „Die gucke ich mir so gerne an, auch die Herrenschuhe. Die sind interessant.“
„Die Szene!“, sagt Dieter. „Die ist sehr verbindend, die besondere Atmosphäre, die Rhythmen!“
„Entspannung!“, sagt Thomas. „Beim Tanzen kriege ich den Kopf frei.“
„Eine andere Welt!“, sagt Elena. Wenn sie tanzt, verschwindet die Realität.
Klar ist: Es würde lange dauern, bis wir ihn so gut könnten, dass wir alle vom Parkett putzen. Was ja schon unser Ziel ist. Außerdem kann ich es nun wirklich nicht verantworten, die Führung komplett an meinen unbändigen Tanzfreund abzugeben. Die Suche geht weiter.
Bilder: Oliver Perkuhn, Inga Wolter, Imago
Wie es zu dieser Serie kamDas Ende des Freestyles
Aber welchen Tanz lernen wir bloß? Es gibt ja so viele. Die Lösung lag auf der Hand: Ich tanze mich einmal quer durch Oldenburg – und dann entscheiden wir. Beziehungsweise ich. Denn das letzte Wort liegt bei mir, wie mir der Freund großzügigerweise versicherte. Bis ich den perfekten Kurs für uns gefunden habe, teste ich also verschiedene Stile und erzähle hier von meiner tänzerischen Reise durch die Stadt.
Sie tanzen? Und wollen Inga Wolter von ihrem Hobby überzeugen? Dann melden Sie sich unter inga.wolter@nwzmedien.de.