Inga tanzt durch OldenburgAuf Socken zur sprudelnden Quelle des Balkantanzesvon Inga Wolter
„Hallo, ich bin die Heidi!“ Eine kleine, flotte Frau mit kurzem, schwarzem Flatter-Röckchen und schwarzen Tanzschuhen wirbelt auf mich zu. „Du tanzt sofort mit, oder?“ In Socken stehe ich auf dem Parkett-Boden – und bin verdattert. Ich weiß doch gar nicht, wie das geht! „Ich bin Inga von der NWZ“, sage ich etwas verzweifelt. Heidi lacht. „Ach so, ich dachte, du bist die Neue aus Varel, die sich angekündigt hat!“
Die nächsten Tänze sind schwieriger. Fremd, wie aus einer anderen Welt muten sie an. Die Musik ist ungewohnt für meine Ohren: folkloristische Klänge, mal fröhlich, mal schwermütig, Dudelsack-Dröhnen. Im Kreis gehen, hüpfen, stampfen, Beine nach vorne werfen. Sexy ist Balkantanz auf den ersten Blick nun wirklich nicht. Ob mein tanzwütiger Freund, mit dem ich einen Tanzkurs machen will, da mitmachen würde? Hier, in der Tanzschule „La Danza“ in der Johannisstraße tanzen sogar ein paar junge Hühner mit. Was finden sie ausgerechnet an den Folklore-Tänzen so toll?
Bei Maria Karnagel (26, 2. von vorne) war es sogar die Oma, die sie zu „Hajde, hajde“ brachte. „Als ich nach Oldenburg zog, stellte sie mir den Termin am Montag ein“, erzählt sie. Damit sie sofort was zu tun hatte in der neuen Stadt. Schon früher tanzte sie, was ihr „unter die Füße kam“. Bei einer Balkan-Party im Oldenburger Polyester brachten Maria und Vanja auch Schritte auf die Tanzfläche, die sie bei Heidi gelernt hatten. „Die Studenten, die dort waren, freuten sich, dass wir es wirklich können“, sagt Vanja. Sie tanzt jetzt auch die schweren Sachen, die sie bei Familienfesten noch nicht draufhatte.
Wenn ich nur könnte!
Als sie 1981 nach Oldenburg zog, vermisste sie hier eine Balkantanz-Gruppe und suchte darum kurzerhand per Aushang nach anderen Tanzfreudigen. Zwölf Leute meldeten sich, zwei davon sind heute noch dabei. Zunächst lief die Gruppe im Hochschulsport, ab 1984 dann als „Hajde, hajde“. Von ihrem Freund, der sie zu den südost-europäischen Tänzen brachte, würde sie heute gerne mal hören: „Nur darum habe ich mich bei Facebook angemeldet.“
Die Musik, die Geschichte, die fremde Kultur beschäftige sie nicht nur. Sie erfülle ihr Herz: „Ich habe ,nur’ ostfriesische Wurzeln, eigentlich muss ich aber in Makedonien oder so geboren sein.“ Sie besitzt eine Tracht, die schon 100 Jahre alt ist. „Als ich sie gekauft hatte, habe ich sie immer wieder angeschaut. Das war ein erhebendes Gefühl.“
„Die lernt man am besten durchs Hören und durch die Schwingungen zwischen den Tänzern“, sagt Elke Pannemann. Das finde ich auch: Anfassen hilft! So prägt sich der Rhythmus besser ein.
„In ,Schopen‘ singen sie über das Land und die Leute“, erklärt Kristina. „Es gibt kein höheres Gebirge als unseres. Es gibt keinen tieferen Fluss als unseren, heißt es in dem Stück. Die Schopen sind sehr stolz.“ Sie lächelt. In anderen Liedern geht es um glückliche und unglückliche Liebe und Feiertage. Auch alltägliche Szenen des Arbeitslebens – Bohnen pflanzen, Brot backen – werden in den Bewegungen dargestellt. „Vor Weihnachten ziehen die Männer durch die Dörfer und singen für Gesundheit, eine gute Ernte und das Glück im Haus.“
„Balkantänze sind auch in den Herkunftsländern wieder modern“, meint Ivelina Mujkanovic (29), „weil sie das nationale Bewusstsein und die Gemeinschaft stärken.“ Im Osmanischen Reich (circa 1299 bis 1922) bewahrten die Menschen sich ihre Identität durch die Tänze, erzählt die Bulgarin. „Auch fanden sie darin ihre Freiheit“, sagt Ivelina. In Bulgarien lernen heute noch alle Kinder bis zur vierten Klasse Folkloretänze. „Wenn Griechen und Bulgaren zusammen tanzen, tanzen sie Hand in Hand.“
Dann seien die Balkanländer eins.
Auch heute wird’s rührselig: Eine Tänzerin hatte Geburtstag. Alle anderen schmettern „Viel Glück und viel Segen“ – und zwar vierstimmig. Das haut mich endgültig aus den Socken. Sind die nicht zum Tanzen hier? Jetzt können die auch noch singen!
Es gibt noch einen Tanz, den auch die können, die nix können. „Hajde! Hajde!“, treibt Heidi mich aus Parkett. „Auf geht’s!, heißt das übersetzt. „Es ist so schön, hierher zu kommen und zu wissen, da ist diese Tanzquelle: Heidi“, sagt Ivelina nach dem Unterricht. Für sie sei das Tanzen im Kreis wie eine Hypnose. „Dann fühle ich mich wie im Himmel.“
Tanz mit! Wann? Montags ab 18.45 Uhr. Wo? In der Tanzschule „La Danza“ in der Johannisstraße 33 in Oldenburg. Wer tanzt wann? 18.45 bis 20 Uhr: Einsteiger. 20 bis 21 Uhr: leicht Fortgeschrittene. 21 bis 22 Uhr: Fortgeschrittene. Mehr Infos auf www.balkantanz.de und per E-Mail an heidi.zieger@balkantanz.de
Fotos: Oliver Perkuhn, Inga Wolter; Video: Oliver Perkuhn
Wie es zu dieser Serie kamDas Ende des Freestyles
Aber welchen Tanz lernen wir bloß? Es gibt ja so viele. Die Lösung lag auf der Hand: Ich tanze mich einmal quer durch Oldenburg – und dann entscheiden wir. Beziehungsweise ich. Denn das letzte Wort liegt bei mir, wie mir der Freund großzügigerweise versicherte. Bis ich den perfekten Kurs für uns gefunden habe, teste ich also verschiedene Stile und erzähle hier von meiner tänzerischen Reise durch die Stadt.
Sie tanzen? Und wollen Inga Wolter von ihrem Hobby überzeugen? Dann melden Sie sich unter inga.wolter@nwzmedien.de.