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Balkantanz in Oldenburg: Auf Socken zur sprudelnden Quelle

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Sexy ist Balkantanz auf den ersten Blick nun wirklich nicht. Aber in Heidi Ziegers Truppe machen einige Frauen schon seit vielen, vielen Jahren mit. Ist das auch was für Onlineredakteurin Inga und ihren tanzwütigen Freund?

„Hallo, ich bin die Heidi!“ Eine kleine, flotte Frau mit kurzem, schwarzem Flatter-Röckchen und schwarzen Tanzschuhen wirbelt auf mich zu. „Du tanzt sofort mit, oder?“ In Socken stehe ich auf dem Parkett-Boden – und bin verdattert. Ich weiß doch gar nicht, wie das geht! „Ich bin Inga von der NWZ“, sage ich etwas verzweifelt. Heidi lacht. „Ach so, ich dachte, du bist die Neue aus Varel, die sich angekündigt hat!“


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Trotzdem soll ich mittanzen. Eine kleine Schrittfolge, die die Truppe „Hajde hajde“ bei einem Auftritt zeigen will. „Das können auch die, die nix können!“, verkündet Heidi, die mit Nachnamen Zieger heißt und die Oldenburger Folkloretanzgruppe für südost-europäische, türkische und armenische Tänze leitet. Alle lachen. Tanzschuhe habe ich nicht, darum muss es auf Socken gehen. Und es stimmt. Die Schrittfolge ist einfach. Heidi ist begeistert: „Du bist hochbegabt! – Wir sagen doch weiter ,du’, oder?“

Die nächsten Tänze sind schwieriger. Fremd, wie aus einer anderen Welt muten sie an. Die Musik ist ungewohnt für meine Ohren: folkloristische Klänge, mal fröhlich, mal schwermütig, Dudelsack-Dröhnen. Im Kreis gehen, hüpfen, stampfen, Beine nach vorne werfen. Sexy ist Balkantanz auf den ersten Blick nun wirklich nicht. Ob mein tanzwütiger Freund, mit dem ich einen Tanzkurs machen will, da mitmachen würde? Hier, in der Tanzschule „La Danza“ in der Johannisstraße tanzen sogar ein paar junge Hühner mit. Was finden sie ausgerechnet an den Folklore-Tänzen so toll?
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„Balkan-Beats sind angesagt“, sagt Vanja Zaprianova (hinten). Die 28-Jährige ist eine von 46 Tänzerinnen. Sie kommt aus Bulgarien und kennt die Tänze von Familienfesten – Hochzeiten, Geburtstagen. „Als ich nach Deutschland kam, wollte ich unbedingt was mit Tanz machen.“ Da lag es nahe, sich etwas aus der eigenen Kultur auszusuchen. Sie durchkämmte im Internet das Folklore-Angebot in den umliegenden Großstädten – um schließlich in Oldenburg, nur ein paar Straßen von ihrer Wohnung entfernt, auf „Hajde, hajde“ zu stoßen. „Wenn ich meiner Oma in Bulgarien davon erzähle, freut sie sich“, sagt Vanja.

Bei Maria Karnagel (26, 2. von vorne) war es sogar die Oma, die sie zu „Hajde, hajde“ brachte. „Als ich nach Oldenburg zog, stellte sie mir den Termin am Montag ein“, erzählt sie. Damit sie sofort was zu tun hatte in der neuen Stadt. Schon früher tanzte sie, was ihr „unter die Füße kam“. Bei einer Balkan-Party im Oldenburger Polyester brachten Maria und Vanja auch Schritte auf die Tanzfläche, die sie bei Heidi gelernt hatten. „Die Studenten, die dort waren, freuten sich, dass wir es wirklich können“, sagt Vanja. Sie tanzt jetzt auch die schweren Sachen, die sie bei Familienfesten noch nicht draufhatte.
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Die Tänzer legen sich nun Gürtel um. „Dadurch bekommt man eine bessere Stabilität.“ Immer im Kreis, Kreuzschritte, schnelle kleine Schritte zur Seite, vorwärts, federnd, hüpfend, zwischendurch stampfend, eine Verbeugung am Ende, Arme schwingend, nach vorne haltend. Melancholisch, volksfesthaft-fröhlich, dann ein Tanz, der wie Sirtaki klingt. Das gefällt mir, da würde ich gerne mittanzen.

Wenn ich nur könnte!
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Als Heidi Zieger „Hajde, hajde“ 1984 gründete, „schlug die Gruppe ein wie eine Bombe“, wie die 66-Jährige erzählt. Und wie kam sie zum Tanzen? „Mit Anfang 20 hatte ich einen griechischen Freund, der Tänzer war. Da war’s um mich geschehen.“ Noch heute lächelt sie verträumt, wenn sie davon erzählt. An Wochenenden hätten sie immer getanzt. Damals wohnte sie noch in Frankfurt. Nach zwei Jahren war es dann aus. „Am traurigsten war, dass ich nicht mehr mit zum Tanzen konnte“, sagt Heidi. Aber weiter machte sie trotzdem.

Als sie 1981 nach Oldenburg zog, vermisste sie hier eine Balkantanz-Gruppe und suchte darum kurzerhand per Aushang nach anderen Tanzfreudigen. Zwölf Leute meldeten sich, zwei davon sind heute noch dabei. Zunächst lief die Gruppe im Hochschulsport, ab 1984 dann als „Hajde, hajde“. Von ihrem Freund, der sie zu den südost-europäischen Tänzen brachte, würde sie heute gerne mal hören: „Nur darum habe ich mich bei Facebook angemeldet.“
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Elke Pannemann ist seit 1987 dabei. Sie ist die Trachtenfee der Truppe. Schon früher, als sie in der Frauenbewegung aktiv war, hatte sie einen Auftritt der Gruppe gesehen. Lange zögerte sie mitzumachen, weil einfach so viel anderes zu tun war, Job, Kinder... Seit 1987 jedoch ist ihr Motto: „In Oldenburg kann eine Revolution stattfinden, ich gehe montags tanzen!“

Die Musik, die Geschichte, die fremde Kultur beschäftige sie nicht nur. Sie erfülle ihr Herz: „Ich habe ,nur’ ostfriesische Wurzeln, eigentlich muss ich aber in Makedonien oder so geboren sein.“ Sie besitzt eine Tracht, die schon 100 Jahre alt ist. „Als ich sie gekauft hatte, habe ich sie immer wieder angeschaut. Das war ein erhebendes Gefühl.“
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Aufwendige Sprungfiguren sind nun für einen rumänischen Tanz gefordert. Dabei müssen die gestreckten Beine aneinandergeschlagen werden, dann auch die Füße. Ein paar Tänzerinnen schauen lieber zu. Die Vielfalt der Figuren ist eine Herausforderung, auch die komplizierten Rhythmen und die kleinen Wippbewegungen haben es in sich.

„Die lernt man am besten durchs Hören und durch die Schwingungen zwischen den Tänzern“, sagt Elke Pannemann. Das finde ich auch: Anfassen hilft! So prägt sich der Rhythmus besser ein.
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Auftritt der Tanzgruppe "Hajde, hajde"

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Viele Tänze sind aus Bulgarien, zum Beispiel „Schopen“, ein sehr rhythmisches, temperamentvolles Lied. Die Tänzerinnen werfen die Beine nach vorne, kreuzen sie schnell. Schopluk ist eine Region in Westbulgarien, nahe Sofia. Eine Fast-Schopin ist Kristina, die Tänzerin in dem schwarzen T-Shirt mit einer orangen Bestickung – eine stilisierte Tracht. Die echten sind viel opulenter, aber zum Trainieren taugt das Shirt. Kristina kommt aus der Nähe von Sofia, gar nicht weit von Schopluk. Vor 20 Jahren ist sie nach Oldenburg gekommen, weil ihr Mann Opernsänger am Staatstheater wurde. Vor rund 16 Jahren hörte sie von der Tanzgruppe und kam sofort dazu.

„In ,Schopen‘ singen sie über das Land und die Leute“, erklärt Kristina. „Es gibt kein höheres Gebirge als unseres. Es gibt keinen tieferen Fluss als unseren, heißt es in dem Stück. Die Schopen sind sehr stolz.“ Sie lächelt. In anderen Liedern geht es um glückliche und unglückliche Liebe und Feiertage. Auch alltägliche Szenen des Arbeitslebens – Bohnen pflanzen, Brot backen – werden in den Bewegungen dargestellt. „Vor Weihnachten ziehen die Männer durch die Dörfer und singen für Gesundheit, eine gute Ernte und das Glück im Haus.“
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Tanzende Männer? Die gibt es auch in Heidis Truppe, aber man kann sie an einer Hand abzählen. Kaum zu glauben, bei den netten Mädels. Mein Freund wäre hier heiß begehrt. „Auf dem Balkan tanzen mehr, viel mehr Männer!“, sagt Heidi. Früher war es für sie ein Wettbewerb. „Wer gut tanzte, kam eher in die Kompanie." Und das war eine Ehre. „Heute ist das am ehesten mit Hip Hop zu vergleichen“, meint sie. „Auch dort messen die Männer sich gegenseitig.“ Beim Battle. „Wir hätten gerne mehr Männer!“, unterstreicht Heidi.

„Balkantänze sind auch in den Herkunftsländern wieder modern“, meint Ivelina Mujkanovic (29), „weil sie das nationale Bewusstsein und die Gemeinschaft stärken.“ Im Osmanischen Reich (circa 1299 bis 1922) bewahrten die Menschen sich ihre Identität durch die Tänze, erzählt die Bulgarin. „Auch fanden sie darin ihre Freiheit“, sagt Ivelina. In Bulgarien lernen heute noch alle Kinder bis zur vierten Klasse Folkloretänze. „Wenn Griechen und Bulgaren zusammen tanzen, tanzen sie Hand in Hand.“

Dann seien die Balkanländer eins.
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Alle Generationen sind im Tanz vereint. „Auf den Festen im Balkan gibt es immer einen Alten, der mit seinem Stock ankommt“, erzählt Heidi, „um ihn dann wegzuwerfen und loszutanzen.“ Ähnlich ist es bei „Hajde, hajde“. Dort tanzen alle im Kreis, Junge, Alte, Anfänger und Fortgeschrittene. Sie feiern und verreisen auch mal zusammen. „Wir haben sogar schon zusammen geweint“, sagt Maria – als eine Mittänzerin ging.

Auch heute wird’s rührselig: Eine Tänzerin hatte Geburtstag. Alle anderen schmettern „Viel Glück und viel Segen“ – und zwar vierstimmig. Das haut mich endgültig aus den Socken. Sind die nicht zum Tanzen hier? Jetzt können die auch noch singen!

Es gibt noch einen Tanz, den auch die können, die nix können. „Hajde! Hajde!“, treibt Heidi mich aus Parkett. „Auf geht’s!, heißt das übersetzt. „Es ist so schön, hierher zu kommen und zu wissen, da ist diese Tanzquelle: Heidi“, sagt Ivelina nach dem Unterricht. Für sie sei das Tanzen im Kreis wie eine Hypnose. „Dann fühle ich mich wie im Himmel.“
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Ich fühle mich zumindest wie auf einer Wolke, die langsam in den Himmel tuckert. Viele Schritte sind beim ersten Mal einfach zu schwer. Auch die Rhythmen muss man erst mal in sich aufnehmen. Aber ich glaube, man kann sie schnell lernen. Also ich würde ja mitmachen! Aber mein Tanzfreund? Ne, das ist nix für den. Da würden sich nur die Füßchen verheddern. Auch würde er bei seinem Freestyle-Potenzial immer wieder aus der Reihe tanzen. Die Suche geht also weiter.




Tanz mit! Wann? Montags ab 18.45 Uhr. Wo? In der Tanzschule „La Danza“ in der Johannisstraße 33 in Oldenburg. Wer tanzt wann? 18.45 bis 20 Uhr: Einsteiger. 20 bis 21 Uhr: leicht Fortgeschrittene. 21 bis 22 Uhr: Fortgeschrittene. Mehr Infos auf www.balkantanz.de und per E-Mail an heidi.zieger@balkantanz.de

Fotos: Oliver Perkuhn, Inga Wolter; Video: Oliver Perkuhn


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Ich habe einen überaus tanzwütigen Freund. Bei jeder guten Gelegenheit – Disco, Stadtfest, Grünkohltour – schleudert er mich so wild über die Tanzfläche, dass mir nach spätestens zwei Runden schwindelig ist. Ohne Gnade! Dieser Freund fragte mich also, ob wir nicht mal einen Tanzkurs zusammen machen wollen. Ja klar! Warum nicht? Selbst bei unserem gekonnten Freestyle ist noch Luft nach oben.

Aber welchen Tanz lernen wir bloß? Es gibt ja so viele. Die Lösung lag auf der Hand: Ich tanze mich einmal quer durch Oldenburg – und dann entscheiden wir. Beziehungsweise ich. Denn das letzte Wort liegt bei mir, wie mir der Freund großzügigerweise versicherte. Bis ich den perfekten Kurs für uns gefunden habe, teste ich also verschiedene Stile und erzähle hier von meiner tänzerischen Reise durch die Stadt.


Sie tanzen? Und wollen Inga Wolter von ihrem Hobby überzeugen? Dann melden Sie sich unter inga.wolter@nwzmedien.de.
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