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Schockstarre

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Ein Schuss.
Noch einer.
Ein dritter.
Und die Welt steht still.

Es war kurz nach 18 Uhr, als an diesem 27. Juli 2017 das Oldenburger Leben sich überschlug und gleichsam jäh unterbrochen wurde. 

Zum zweiten Mal binnen 58 Tagen wurde ein Mensch getötet. Nicht etwa nachts hinter verschlossenen Türen -  sondern am helllichten Tag. Keine Leichname, die Wochen später aus Hunte oder Erdboden gezogen wurden - sondern Todesfälle, die mitten im Herzen der Stadt geschahen.

Hatte ein junger Mann Ende Mai mitten in der Innenstadt und unter den Augen zahlloser Passanten einen syrischen Landsmann nach Streitigkeiten mit einem Messer getötet und Oldenburg wie selten zuvor erschüttert, sollten diese Schüsse in einem Ladenlokal nun ein weiteres Mal für kurzzeitige gesellschaftliche Schockstarre sorgen. Ein 65-Jähriger verstarb noch am Tatort, ein 60-Jähriger wurde überdies schwer verletzt. Tatverdächtig ist ein 38-jähriger Oldenburger mit türkischer Staatsangehörigkeit, der sich vor Ort festnehmen ließ.

Die Umstände dieses Tötungsdelikts sind zwar polizeilich "ausermittelt" - umfänglich geklärt und juristisch bewertet aber noch nicht. Zahlreiche Fragen sind offen, zahlreiche Gerüchte zu Tat und Täter(n) machen die Runde.

Diese Dokumentation soll Einblick ins Prozessgeschehen, in die Ermittlungen und all die wilden Gerüchte geben. 
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Auch wenn die offiziellen Zahlen der Polizei zu den "Straftaten gegen das Leben (inkl. Versuche)", wie es im Behördensprech heißt, für gewöhnlich erst Anfang Februar zur Verfügung stehen, so hat sich ein lauter Teil der  Oldenburger Bevölkerung doch längst eine Meinung über die Geschehnisse im Jahr 2017 gebildet. 

Schenkt man den zahlreichen privat verfassten Kommentaren in den hiesigen Sozialen Medien Glauben, dann kann man sich "nicht mehr raustrauen", ist "alles so schlimm wie noch nie" und Oldenburg quasi "verloren". Nicht ganz so dramatisch, aber doch mit reichlich Skepsis untermauert, gestalten sich die Smalltalks im Supermarkt und über dem Gartenzaun. Sprich: Diese Taten - und noch ein weiterer schwerer Gewaltakt im Juli des vergangenen Jahres - wirkten nach. 

Tatsächlich dürfte die Zahl der im Jahr 2017 bekannt gewordenen, absichtlich und durch fremde Hand herbei geführten Todesfälle in beängstigende zweistellige Höhen geschnellt sein.

Ist die Sache damit klar? Mitnichten. Denn vor allem ein deutscher Serientäter wird mit seinen Taten in den Jahren 2000 bis 2005 die kommende Oldenburger Statistik verfälschen und damit die Zahl der tatsächlich im vergangenen Jahr verübten Tötungsdelikte um ein Vielfaches erhöhen: Klinikmörder Niels Högel. Er soll in Oldenburg (und Delmenhorst) mindestens 106 wehrlose Patienten getötet haben, wie die Ermittler der Sonderkommission „Kardio“ final im vergangenen Jahr feststellen mussten.

Bereits 2016 hatte Högel die lokale Kriminalitätsstatistik in diesem Segment bestimmt. 19 bekannt gewordene Fälle waren darin ausgewiesen - fast doppelt so viele wie in den Vorjahren. Zur Erklärung hieß es schon damals: "Statistisch auffällig ist die Steigerung von 10 auf 19 Fälle. Hierunter befinden sich zwei vollendete Taten - jeweils eskalierte Umstände im familiären Umfeld - sowie fünf Verdachtsverfahren gegen Angehörige medizinischer Berufe. Bei den weiteren Vorfällen ließen die Gesamtumstände der jeweiligen Vorgehensweisen den Verdacht eines versuchten Tötungsdeliktes zu, so dass mit der entsprechenden Zielrichtung ermittelt wurde."

Dennoch: Die Zahl vollendeter und versuchter Delikte erschien in den Vorjahren irgendwie beruhigender. 2015 hatte die Polizei derer zehn verzeichnet, im Jahr zuvor waren es elf, 2013 nur acht und 2012 wie 2011 lediglich vier Fälle. 2010 allerdings auch wieder 7. Wohlgemerkt: darunter eben auch Altfälle und nicht vollendete, ja vielleicht gerade einmal mögliche Taten.

Zum Vergleich: In der Stadt Osnabrück - aufgrund der Größe durchaus mit Oldenburg vergleichbar - liegt der Schnitt dieser Straftaten gegen das Leben bei jährlich 13 (Im Jahr 2015 waren es fünfzehn Fälle, im Jahr 2013 nur derer zehn). 

Was dies alles für die Sicherheit der Bürger dieser Stadt bedeutet? Erst einmal nicht allzu viel. Ohne besagte Vorfälle abschwächen zu wollen:  Mord und Totschlag hat es schon immer gegeben.  Auffällig ist jedoch, dass die Gesellschaft immer aufgeregter wirkt, jeder Zwischenfall abseits der Norm in höchstem Erregungsmaße kommentiert wird - sich somit also auch um so stärker in den Köpfen der Empfänger festzusetzen vermag.

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In einem Interview mit der NWZ hatte Thomas Weber (Leiter des Zentralen Kriminaldienstes am Friedhofsweg) zur vermeintlichen Häufung von Raubüberfällen, tödlichen Schüssen und brutalen Schlägen im Jahr 2017 Stellung bezogen – sollte Oldenburg tatsächlich in einer kriminellen Abwärtsspirale stecken, wie in Sozialen Medien behauptet wird? Aus dessen Worten lässt sich dies nicht herauslesen:

„Auch wenn wir in der jüngsten Vergangenheit tatsächlich eine Häufung dieser herausragenden Ereignisse zu verzeichnen hatten, ist jedoch auch richtig, dass wir in den letzten Jahren trotz steigender Einwohnerzahlen in Oldenburg über 2000 Straftaten weniger registrieren als noch zum Beispiel im Jahr 2007“, sagt er im Gespräch. Und: „Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, objektiv eher gesunken ist.“

Weber meint damit die Gesamtheit aller Straftaten auf Oldenburger Boden – also neben schweren Delikten gegen das Leben auch „leichtere“ Kriminalität wie Betrug, Fälschung oder Fahrraddiebstahl.

Zum Vergleich: Im Jahr 2007 wurden in der Stadt 17.095 Straftaten registriert, davon 8730 (51 Prozent) aufgeklärt. Ende 2016 waren es 14.816 Taten, in 55 Prozent aller Fälle konnten die Akten erfolgreich geschlossen werden. Ja, mehr als im Vorjahr (2015: 14.598), aber eben auch im Langzeitvergleich deutlich weniger.

Warum also weicht das Sicherheitsgefühl hier so sehr von den blanken Zahlen ab? Ein Grund sei sicherlich im Internet zu finden, vermutet Weber. „Die schweren Straftaten und die damit verbundenen medialen Folgen in den sozialen Netzwerken haben natürlich einen Einfluss auf das subjektive Sicherheitsgefühl in der Stadt“, sagt Weber. „Dass solche Taten zu Diskussionen in der Öffentlichkeit und unter Umständen auch zu Ängsten führen, ist verständlich.“

Über einen Fahrraddiebstahl werde da kaum diskutiert, er bleibt nicht in der Erinnerung verankert. Die stete Konfrontation mit selteneren schweren Taten aber – beispielsweise auf Facebook
, übrigens erst seit 2008 in deutscher Version „online“ – sorgt für eine gewisse Gruppendynamik, entsprechend eine gemeinschaftliche Angst. Was nun die jüngsten Gewaltakte betrifft, so handele es sich in nahezu allen Fällen um Beziehungstaten – es gab frühere Kontakte zwischen Tätern und Opfern, also „eine Vorgeschichte zu der Tat“ – und damit um keine Gefahr für Außenstehende.
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Für so manchen Bürger dieser Stadt sind die schwerwiegendsten Vorfälle des vergangenen Jahres nicht nur bloße Zahlen. Er hat Taten und  deren Täter im Gedächtnis bewahrt. Einige dieser Fälle von (auch wahrscheinlichen) "Straftaten gegen das Leben" haben wir hier noch einmal aufgelistet.

Da war beispielsweise der 49-jährige Oldenburger, der seinen Vater bereits Heiligabend 2016 getötet hatte - dann den Leichnam aber wochenlang in seinem Kleiderschrank aufbewahrte und Nachrichten von dessen Handy verschickte. Wohl auch, um dessen Rente zu kassieren. Die Polizei kam ihm auf die Spur, das Gericht verurteilte den Sohn zu lebenslanger Haft.

Im Februar rastete ein alkoholisierter 19-jähriger Algerier in einer Asylunterkunft offenbar aus, wollte zwei anderen Männern ein Messer in Hals oder Bauch rammen. Haftbefehl wurde kurzerhand erlassen, ermittelt wurde wegen des Verdachts „versuchter Tötungsdelikte, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“, so die Behörden seinerzeit. Die Vorwürfe hielten den Taten aber nicht Stand, wegen verminderter Schuldfähigkeit blieb es bei einer "gefährlichen Körperverletzung", nach Jugendrecht wurden Weisungen erteilt.

Im März hatte ein alkoholisierter 39-Jähriger mit einer Spaltaxt seine zwei Jahre jüngere Frau an der Nadorster Straße lautstark bedroht - vor den Augen seiner drei Kinder. Die 18-jährige Tochter rief die Polizei, die einschreiten und den aggressiven Mann nur mit Pfefferspray stoppen konnte.


Im April endete ein anscheinend schon länger schwelender Streit in der Tannenkampstraße blutig - ein 38-jähriger Mann wurde mit zwei Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Die Polizei hatte rasch zwei Deutsche (34, 23) als Tatverdächtige festgenommen. Ermittelt wurde zunächst wegen eines möglichen versuchten Tötungsdeliktes. Am Mittag gingen die Behörden indes nur noch von einer gefährlichen Körperverletzung aus.

Im Mai stach ein 22-jähriger Asylbewerber seinen 33-jährigen syrischen Landsmann in der Innenstadt unter den Augen zahlreicher Passanten nieder, tötete ihn mit mehreren Messerstichen. Er wurde im Dezember zu lebenslanger Haft verurteilt.

Im Juni verschwand die 55-jährige Polin Danuta Lysien aus Krusenbusch spurlos. Bis heute ist ihr Verbleib ungeklärt - eine Soko wurde eingerichtet, auch eine Öffentlichkeitsfahndung versucht. Alles ohne Erfolg. Ein Gewaltverbrechen wird nicht ausgeschlossen, allerdings könnten auch andere Gründe zu ihrem Verschwinden geführt haben, wie es aus internen Ermittlerkreisen heißt.

Weil er im Juli einem 26-jährigen marokkanischen Asylbewerber am Lappan unter den Augen mehrerer Passanten eine zerbrochene Glasflasche in den Hals rammte und ihn damit lebensgefährlich verletzte, steht ein Mann aus Bochum - der sich, um Asyl in Deutschland zu erhalten, anscheinend gleich 15 verschiedene Identitäten zugelegt hatte - ab Januar 2018 wegen des Verdachts auf versuchten Totschlag vor Gericht. Es war die zweite schwere Bluttat in aller Öffentlichkeit innerhalb kurzer Zeit.

Und dann dies: Ebenfalls im Juli kam es zur folgenschweren Auseinandersetzung in einem Ladenlokal an der Nadorster Straße. Ein 65-jähriger Mann wurde mit drei Schüssen getötet, ein 60-jähriger kurdischer Landsmann schwer verletzt. Der 38-jährige Tatverdächtige, türkische Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Oldenburg, sitzt seitdem in Untersuchungshaft, der Prozess beginnt am 12. Januar.

Nicht zuletzt fahndete die Polizei im Juli öffentlich nach dem 29-jährigen Deutsch-Kurden Rezan Cakici, der seit Monatsanfang vermisst wurde.

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Auf den folgenden Seiten sind die beiden wohl schwerwiegendsten Taten des vergangenen Jahres - die unter den  Augen der Oldenburger Öffentlichkeit geschahen - verzeichnet und dokumentiert.

Der eine Prozess endete vor drei Wochen mit dem Urteil "Lebenslänglich", der andere um die tödlichen Schüsse von Nadorst beginnt an diesem Freitag.
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Die Messer-Attacke

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Es geschah am späten Mittwochnachmittag - bei Sonnenschein in der Fußgängerzone, wo so viele junge und ältere Menschen friedlich flanieren wollten.

Sie sei gerade dabei gewesen, im Drogeriemarkt an der Achternstraße zu bezahlen, als sie die Schreie von draußen hörte, zitierte NWZ-Redakteurin Sabine Schicke damals eine Augenzeugin aus Oldenburg. Auf der Straße hätte sie eine Menschenmenge und den Mann auf dem Boden im Blut liegen sehen - alle seien wie erstarrt gewesen, dann wurde nach Handys gesucht und schließlich mehrere Notrufe abgesetzt.

Auf der Polizeiwache
am Friedhofsweg geht der erste Anruf gegen 17.55 Uhr ein, in der Citywache um 17.58 Uhr. Wie die Augenzeugin eine Stunde später weiter atemlos erzählte, haben Menschen um den Verletzten gekniet und versucht, ihm etwas auf die Brust zu drücken und das Blut zu stillen. Außerdem wurde berichtet, dass ein Mann mit Messer in Richtung Lappan geflüchtet sei. Relativ schnell sei dann auch die Polizei am Tatort erschienen. „Das hat vielleicht 5 Minuten gedauert.“

Die meisten Passanten standen noch immer geschockt in der Achternstraße. „Dass so etwas hier in Oldenburg passiert, haben wir uns nicht vorstellen können“, hätten alle immer wieder gesagt.

Derweil wurde der mittlere Teil der Achternstraße komplett gesperrt. Der Rettungswagen bahnte sich seinen Weg durch die Passanten zum Tatort. Notarzt und Rettungssanitäter versuchten, den Mann vor Ort zu retten. Doch es gelang nicht, ihn zu reanimieren. Für das Opfer kam jede Hilfe zu spät.

„Nach ersten Erkenntnissen waren religiöse Konflikte Auslöser der Auseinandersetzung“, so hatte es damals geheißen. Was damals schon klar war: Bei dem Opfer handelte es sich um einen syrischen Staatsangehörigen im Alter von 33 Jahren. 
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Zäh war die Suche nach Antworten auf so viele Fragen, die sich an diese unbegreifliche Tat schlossen. Weshalb griff der 22-jährige Asylbewerber seinen Landsmann an? Wieso hatte er ein Messer dabei - und warum stach er ungeachtet all der umstehenden Zeugen mit solcher Brutalität zu?

Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann, Oberstaatsanwalt Thomas Sander und auch die Anwältin der Nebenklägerin (Frau des Opfers) Christiane Lohmann-Pahl ließen an den neun Verhandlungstagen nicht locker, fügten Puzzleteil um Puzzleteil zusammen - und mussten da manche Respektlosigkeit aus den hinteren, aber auch vorderen Bänken ertragen.

Am Ende gab es ein deutliches Urteil gegen den jungen Syrer. Hatte die Staatsanwaltschaft im Plädoyer noch eine 13-jährige Haftstrafe wegen des vollendeten Totschlags gefordert - dabei auch die  "Geständigkeit des nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten im Wesentlichen" vermerkt -, schöpfte Bührmann die ganze Härte wie Bandbreite der Paragraphenmöglichkeiten aus und verkündete die lebenslange Haftstrafe.

Laut Strafgesetzbuch heißt's unter dem Abschnitt „Straftaten gegen das Leben: §211 Mord: (1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
Und in §212 Totschlag, der schließlich herangezogen wurde: (1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen."   

Weshalb hier auf einen besonders schweren Fall verwiesen wurde, klärte sich am letzten Verhandlungstag und nicht minder in der  Urteilsbegründung:

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Die muslimischen Regeln seien im Gegensatz zur Anfangsvermutung nicht Ursache der Tötung, wurde wiederholt ausgeführt - und hinreichend begründet. Was die schreckliche Tat natürlich in keinster Weise mildert. Das betonte auch Oberstaatsanwalt Thomas Sander in seinem Plädoyer: "Es war eine grobe, sinnlose Tat von großer Gewalt - wegen eines nichtigen Anlasses."

Denn: Weil es vor der tödlichen Attacke zu mehreren, an verschiedenen Stellen der Innenstadt ausgetragenen Auseinandersetzungen kam, in denen der 22-Jährige seinem späteren Opfer stets unterlag, war diese Tat offenbar jener erlittenen Schmach geschuldet. Doch der Reihe nach.

Am Nachmittag des Tattages, dem 31. Mai 2017, hatte der Angeklagte zunächst am Lappan einen Streit mit einem Gleichaltrigen wegen des Rauchens während des Fastenmonats Ramadan entfacht. Das spätere Opfer stieß hinzu, wollte schlichten - geriet dann aber selbst mit dem Angeklagten in Konflikt. Es wurde tat- und schlagkräftig ums Recht diskutiert, der 22-Jährige zog den Kürzeren, ging zu Boden. Das Shirt des 33-Jährigen zerriss. Die beiden wurden schließlich getrennt,  das spätere Opfer hielt die Sache für bereinigt und ging weiter stadteinwärts.

Offenbar „gärte“ es da schon sehr im 22-Jährigen, wie es von Seiten der Staatsanwaltschaft hieß. Der junge Mann folgte dem 33-Jährigen und traf in der Achternstraße erneut auf ihn, wollte die angeblichen Beleidigungen und die Schläge noch einmal „unter Männern“ geklärt wissen. Weil sein Gegenüber aber kein Interesse an einem weiteren körperlichen Konflikt zeigte, er vielmehr sein bei der ersten Auseinandersetzung zerrissenes Shirt ersetzen wollte, zog sich der junge Mann plötzlich seines über den Kopf und hielt es ihm zur schnelleren Klärung entgegen.

Darauf schlug der 33-Jährige ihm unvermittelt mit der Faust ins Gesicht – offenbar, um seine Ruhe zu haben und den Konflikt endgültig abzuschließen, so  Richter Sebastian Bührmann. Der Angeklagte ging erneut zu Boden, sein Kontrahent wieder fort.

Dass dies aber offenbar nur noch mehr an der Ehre des Täters rüttelte, wusste das Gericht hinreichend zu begründen. Und so zückte der junge Mann also - nach einer kurzen Bedenkpause und der vermeintlichen "Abkühlung" - sein Klappmesser, hielt dies versteckt unterm Handgelenk und rannte dem Opfer hinterher.

Als dieses sich umdrehte – offenbar durch einen Ruf gewarnt –, setzte der 22-Jährige sein Messer ein. Mit größtmöglicher Brutalität und voller Aggression folgte ein tiefer Schnitt quer durch das Gesicht, dann ein tödlicher Stich ins Herz, schließlich noch ein wahrscheinlich ebenso lebensgefährlicher in die Seite. Eigentlich habe er mit dem Messer nur drohen wollen, sollte es im Verlauf des Prozesses heißen. Dann aber hätte er Angst vor dem 33-Jährigen bekommen.

Dass eben dieser der aggressive Part gewesen sein soll, wie er sagte, „ist die Wahrheit des Angeklagten“, so die Staatsanwaltschaft. Zeugen hätten übereinstimmend gesagt, dass das spätere Opfer vielmehr entspannt gewesen sei, ja höchstens genervt wirkte. „Nur einer wollte den Konflikt, und das waren Sie“, hieß es im Plädoyer Sanders.

Der 33-Jährige verstarb noch vor Ort, der Täter indes konnte kurzzeitig fliehen – mit dem Bus bis nach Eversten. Dann wurde er gestellt.
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Lebenslänglich hinter Gittern: Nahezu regungslos nahm der 22-Jährige das Urteil auf. Vielleicht weil der syrische Asylbewerber nicht jedes Wort des Vorsitzenden Richters Bührmann verstanden hatte, vielleicht aber auch, weil er sich der Beweislast durchaus bewusst war. Über seinen Dolmetscher hatte er kurz zuvor noch ausrichten lassen: „Ich entschuldige mich für das, was ich getan habe. Ich kann es nicht rückgängig machen und bereue es zutiefst.“

Diese Einsicht kam viel zu spät. Zwar konnte das Gericht kein Mord-Merkmal - niedrige Beweggründe oder Heimtücke - zweifelsfrei belegen, fasste diese Tat dann aber dennoch als besonders schweren Fall von Totschlag auf, der eben wie ein Mord zu bewerten sei.

Bührmann verglich die Tat mit einer öffentlichen Hinrichtung, „ganz nah am Mord“.
 
Die trauernde Nebenklägerin – Frau des Opfers und Mutter dreier Kinder, von denen das jüngste seinen Vater nicht mehr kennengelernt hat – schwieg während der Verhandlung, stattdessen sprach ihre Anwältin. „Der Angeklagte wollte beweisen, dass er der Stärkere ist“, sagte sie.

Nicht nur die Augenzeugen der Tat standen unter Schock. Dieses Ereignis, aber auch jene, die sich noch in kurzer Folge anschließen  sollten, sorgen kurzzeitig für eine gefühlte Handlungsunfähigkeit, den temporären Verlust des Sicherheitsgefühls.

Diese „Massenverängstigung“, so Bührmann, war dann bei der Findung des geeigneten Strafmaßes zwar nicht ausschlaggebend, aber sicherlich ein Aspekt.

„Der 31. Mai ist ein trauriger Tag für das Opfer und dessen Familie und er ist ein schwarzer Tag für Oldenburg“, sagte er. Der Angeklagte habe das Opfer auf offener Straße zur belebten Zeit vor den Augen vieler junger Menschen bewusst und gewollt umgebracht. „Und wofür? Für nichts“, so der Vorsitzende.

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„Mord und Totschlag unterscheidet sich martialisch von anderen  Todesursachen: er ist nicht vorhersehbar, er ist nicht behandelbar, er ist vor allem für jeden Menschen undenkbar. Für alle Menschen ist Mord etwas, was in Fernsehkrimis oder Kriminalromanen stattfindet. Er gehört aber nicht in das eigene Leben!“ 

Das sagt 
Daniela Hirt, traumazentrierte Fachberaterin. Mehr noch: „Durch diese Taten ist den Menschen möglicherweise bewusster geworden, dass auch unsere Stadt nicht frei von Kriminalität ist und es auch hier multiple Problemlagen gibt, die Aggressionen, Ängste und Gewalt zur Folge haben." 

Ob diese öffentlichen Taten vielleicht für einen Wahrnehmungswandel in der Oldenburger Stadtgesellschaft gesorgt haben?
Daniela Hirt sagt: "Ich glaube nicht, dass eine der Taten eine Massenverängstigung ausgelöst hat. In der Regel flaut solch ein Schrecken relativ schnell ab bei den Personen, die nicht zu den Tatzeuginnen und Tatzeugen oder zu den Familien des Opfers oder des Täters gehören. Nach 1 bis 3 Tagen ,Stadtgespräch' setzt sich die jeweilige Persönlichkeit eines Menschen mit seinen Prägungen durch. Die einen sagen sich: ,Gott sei Dank, es hat nicht mich getroffen und nun denke ich da nicht weiter drüber nach' - andere denken hingegen: „Oh Gott, wie schlimm ist das denn, jetzt kann ich auch jederzeit getötet oder verletzt werden …“ So findet jeder schließlich den eigenen Umgang damit im persönlichen Bereich. Die, die eher zu der 2. Kategorie gehören sind unter Umständen länger offen verängstigt und sollten wie könnten die Möglichkeit nutzen, sich Unterstützung zu holen. Weil Menschen so unterschiedlich sind, kann man nicht von einem Massenphänomen reden."

Das Festsetzen solcher belastenden Bilder ist eine neurologische Angelegenheit, erläutert Hirt auf NWZ-Nachfrage. Ob sich ein Erlebnis zu einem Trauma entwickelt und sich Ängste wie das Trauma möglicherweise chronifizieren, sei "eine sehr komplexe Angelegenheit". Schwersttraumatisierte Menschen schließen die Augen und haben Bilder vor Augen. Sie erleben keinerlei Selbstregulation. Diese könne allerdings durch Psychotherapie/Traumatherapie, Achtsamkeits-,  Imaginations- oder Atemübungen wiedererlangt werden, heißt es da.

Ganz wichtig erscheint überdies - sofern möglich -, die nüchterne Auseinandersetzung mit dem, was war, und dem, was ist.

"Interessant ist doch auch, was eine Stadt an Gesundheits- und Kriminalprävention betreibt, damit sich ein Schrecken nicht weiter ausbreiten kann. Hier leisten die Polizei, der Präventionsrat, freie Träger, Verbände und Vereine in Oldenburg gute Arbeit", sagt sie.

Trotz aller Bemühungen der Gesellschaft sind solch schwere Verbrechen wie eben die tödlichen Schüsse an der Nadorster Straße nicht immer vollends zu verhindern.




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Die tödlichen Schüsse

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Das Landgericht hat in der Terminübersicht für den anstehenden Prozess eine grobe Zusammenfassung der Ereignisse und Vorwürfe geliefert. Dort heißt es:

"Am 27. Juli 2017 soll es abends in den Geschäftsräumen einer Firma in Oldenburg-Nadorst zu Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und zwei weiteren Personen gekommen sein, weshalb der Angeklagte versucht haben soll, die Polizei zu verständigen. Er soll dann jedoch eine Schusswaffe gezogen und die eine Person mit mehreren Schüssen getötet haben. Als er dann versucht haben soll, auf die zweite Person zu schießen, um diese ebenfalls zu töten, soll das Magazin bereits leer gewesen sein. Deshalb soll er nun auf diesen mit der Pistole derart eingeschlagen haben, dass dieser operiert werden musste. Dem Angeklagten werden unter anderem ein vollendeter und ein versuchter Totschlag zur Last gelegt."

Gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz werden überdies vor der Schwurgerichtskammer zur Sprache kommen. 
 
Der 38-Jährige habe sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zumindest dahingehend eingelassen, dass er "angegriffen worden sei und sich durch Schüsse und Schläge zur Wehr gesetzt" habe - so heißt es von den Behörden.

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Es ist kurz nach 18 Uhr, als die Schüsse fallen: In einem Firmengebäude an der Nadorster Straße hat offenbar ein 38-Jähriger aus noch ungeklärten Gründen das Feuer auf zwei weitere Männer mit einer Pistole des Modells Walther P22 eröffnet. Schnell wird klar: Hier ist Schreckliches geschehen. Ein Zeuge setzt um 18.10 Uhr einen Notruf ab.

Im benachbarten Asia-Restaurant bleiben die Kunden dennoch sitzen - sehen zu, wie sich die Straße kurz darauf mit allerlei Polizeifahrzeugen und teils schwer bewaffneten Beamten füllt. Der vermeintliche Täter - ein 38-jähriger Oldenburger mit türkischer Staatsangehörigkeit und offenbar auch Beteiligter des Trockenbau-Unternehmens - wird noch vor Ort gestellt und zur Untersuchungshaft in die Justizvollzugsanstalt abgeführt.

Krankenwagen stehen am Straßenrand, Rettungskräfte und Notärzte rennen hin und her. Rot-weiße Absperrbänder werden ausgerollt, Polizeihunde erst mit aufgesetztem, dann mit geöffnetem Maulkorb abgestellt. Der Bürgersteig ist nicht mehr passierbar, trotzdem drängen sich Schaulustige hindurch, lassen sich kaum aufhalten. Die Straße indes bleibt frei. Immer und immer wieder kommen die immer gleichen Gesichter, teils  polizeilich bekannt, aufgeregt am Ladenlokal vorbei um Einblicke und Informationen zu erhaschen. 

Für einen 65-Jährigen im Inneren des Geschäfts kommt jede Hilfe zu spät. Die Wiederbelebungsversuche der Notärzte bleiben ohne Erfolg, regungslos liegt der Körper des Kurden inmitten des Lokals, umgeben von Decken und medizinischem Material.  

Das andere Opfer, ein 60-jähriger Mann, lebt - ist aber schwer verletzt. Er wird ins Krankenhaus eingeliefert, muss anscheinend notoperiert werden. Lebensgefahr habe nicht bestanden, zumindest nicht aufgrund der zugefügten Verletzungen. Aus Sorge vor möglichen weiteren Übergriffen sichert die Polizei aber Krankenhaus und Behandlungszimmer bis tief in die Nacht ab.


Während die Ermittler an der Nadorster Straße hinter den nunmehr mit blauem Sichtschutz verhangenen Scheiben des Ladenlokals alle Spuren sichern, müssen vor dem Gebäude mehrere Menschen – darunter anscheinend Bekannte und Verwandte der Opfer – beruhigt werden. Laute Verzweiflungsschreie und aggressive Beleidigungen wechseln sich ab.

Die Spurensicherung dauert bis weit nach Mitternacht an. Profis in weißen Ganzkörperanzügen überprüfen jeden Zentimeter des Gebäudes. In der Nacht werden zwei Fahrzeuge, die vor dem Gebäude platziert waren, sichergestellt.

Die Ermittler sprechen relativ frühzeitig von „geschäftlichen Streitigkeiten“, die zum Unglück geführt haben sollen - ohne jedoch zu diesem Zeitpunkt schon auf Details und etwaige Personalia einzugehen.

Das Unternehmen an der Nadorster Straße 14 wird am Tattag unter dem Namen „M.A. Cakici Trockenbau GmbH“ im Handelsregister geführt, wurde am 22. Oktober 2015 von Geschäftsführer Muhammet Ali Cakici – einem Mitglied der Rockergruppe Hells Angels aus Westerstede – im Register eingetragen, firmierte zuvor unter „Cakici Trockenbau Nord West GmbH“. Mittlerweile, im Januar 2018, existieren Einträge und Unternehmen nicht mehr. 
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Der Prozessauftakt zu den tödlichen Schüssen Ende Juli 2017 erfolgt am Freitag, 12. Januar 2018, vor dem Oldenburger Landgericht. Dies wird unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen geschehen, wie die beteiligten Behörden gemeinsam im Vorfeld entschieden haben.

Zehn
Verhandlungstage sind für den Prozess vorerst angesetzt. Und mindestens der erste wird ähnlich der Verhandlungen Ende 2017 um den Messerstecher in der Oldenburger Innenstadt von mehr Sicherheitskräften als üblich begleitet werden, auch Einlasskontrollen stehen wieder an.

Offenbar wollen die Behörden potenziellen Unruhestiftern gleich entsprechende Signale geben, dass diese Verhandlung kein Beteiligungsprozess sein wird.

Richter Sebastian Bührmann
machte dies zuletzt im öffentlichkeitswirksamen Verfahren Ende Dezember mit aller Vehemenz deutlich: „Wir haben mehrfach Wortbeiträge von Verfahrensbeteiligten und Zuhörern erlebt - es ist gut, dass die Öffentlichkeit an einem Prozess teilnehmen und sehen kann, wie hier versucht wird, zu einem gerechten Urteil zu kommen,  aber diese Freiheitsrechte können auch missbraucht werden.“

Es sei wichtig und an der Zeit, klarzustellen, dass „dies keine Einladung“ zu Respektlosigkeiten sei, sondern „ein hohes Gut, das wir einhalten.“ Denn gerade jene Einwürfe und lautstarken Reaktionen vor Gericht hätten in vorangegangenen Verhandlungen immer wieder für massive Störungen gesorgt. Dies sei nicht mehr zu tolerieren.

Noch ist unklar, wie viele Zuhörer den Prozess an der Elisabethstraße direkt verfolgen werden. Sicher aber ist, dass das Interesse der Öffentlichkeit an Verlauf, Personalia und Hintergründen groß ist.

Die einzelnen Termine (jeweils um 9 Uhr):
* 12.01.2018
* 25.01., 26.01., 16.02., 20.02., 23.02., 27.02., 02.03., 08.03. und 09.03.2018.


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Eine Untersuchungshaft wird vom Richter angeordnet - und dient der "Verfahrenssicherung", wie es heißt. Sprich: Damit die Ermittlungen nach einer Straftat nicht negativ beeinflusst werden (sei es aufgrund einer Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr), wird der dringend Tatverdächtige festgenommen und vorerst in der JVA untergebracht.

In Oldenburg - hier wird nun also auch der 38-jährige Beschuldigte geführt - handelt es sich dabei um eine Anstalt der höchsten Sicherheitsstufe. Rund 120 Untersuchungsgefangene sind hier aktuell Anfang Januar untergebracht, darüber hinaus noch etwa 150 Strafgefangene. Hinzu kommen weitere Abteilungen wie Transport, psychiatrische und eine spezielle Sicherheitsstation für besonders gefährliche Straftäter.

Bis zu maximal 21 U-Häftlinge leben auf je einer gesonderten Station. Sie werden morgens um 6 Uhr geweckt. Abhängig von der jeweiligen richterlichen Genehmigung, können sie in hausinternen Betrieben arbeiten, an sogenannten "Freizeitmaßnahmen" oder auch religiösen Veranstaltungen teilnehmen.

Nicht arbeitende Gefangene werden ab 16 Uhr wieder in ihren Zellen eingeschlossen. Bei Arbeitern (ihre Schichten gehen von 6.45 bis 15.45 Uhr) fällt die Tür spätestens um 20 Uhr ins Schloss. U- wie Strafgefangene können hier in der JVA Besuch empfangen - höchstens eine Stunde lang (maximal 5 Stunden im Monat).

Den Einzelhaftraum, etwa 10 Quadratmeter groß, können sie sich selbst gestalten. Wenn sie Geld zur Verfügung haben, können sie auch einen Fernseher kaufen und dort aufstellen. Dieser wird allerdings intensivst auf verbotene Gegenstände kontrolliert und schließlich verplombt.

Gefangene, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, können an Deutsch- und Integrationskursen teilnehmen.
Sport sei ein wichtiges Thema in der JVA, er sei förderlich für die Psyche der Inhaftierten, so heißt es an der Cloppenburger Straße. Allerdings gibt es hier nur Gruppensportangebote. "Kraftsport im Gefängnis lehnen wir ab", sagt Anstaltsleiter Gerd Koop auf NWZ-Nachfrage. Sozialarbeiter und Psychologen sind für die Gefangenen erreichbar, sie können an allen Betreuungsmaßnahmen der JVA teilnehmen.   

Besagte "Vorzüge" gelten allerdings nur, wenn sich die Gefangenen an die strengen hiesigen Regeln halten. "Wir sind konsequent und liberal", so Koop - "aber diese Konsequenz wird auch von uns eingefordert, sonst gibt es keine Liberalität."

Mit Stand 3. Januar sind insgesamt 314 Haftplätze in der Hauptanstalt der JVA Oldenburg belegt - plus Sicherheitsstation. Der Ausländeranteil der Inhaftierten schwankt, liegt derzeit bei erhöhten 36 Prozent. Die meisten sind im  geschlossenen Vollzug untergebracht und stammen aktuell aus 38 unterschiedlichen Ländern. Dies sind in der Hauptsache osteuropäische und nordafrikanische Gefangene. Die meisten von ihnen kommen aus Polen (aktuell 20).

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Dass der Name des Unternehmens, in dem die Schüsse fielen, (und auch mehrerer Beteiligter) für die weiteren Ermittlungen durchaus von Bedeutung sein könnte, wurde sehr schnell klar. Gut möglich, ja vielmehr sehr wahrscheinlich ist damit, dass in bedeutsamen Abschnitten der anstehenden Gerichtsverhandlung auch der Name "Rezan Cakici" fällt.

Denn der 29-jährige Deutsch-Kurde - geboren in Westerstede und lebend zuletzt in Oldenburg gesehen - ist seit dem 3. Juli 2017 spurlos verschwunden.

24 Tage vor den tödlichen Schüssen in der Nadorster Straße, wo keine 100 Meter weiter Rezan Cakici bis dato auch Teilhaber einer Shisha-Bar war.

Was einen Zusammenhang der beiden Fälle so wahrscheinlich macht - auch wenn die Behörden diesbezüglich noch mauern -, sind die familiären Bande: Der nach wie vor vermisste junge Mann ist Neffe des getöteten 65-Jährigen und Sohn des seinerzeit schwer verletzten weiteren Opfers.

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Die Verhandlungstage

Die Sicherheitsvorkehrungen sind massiv. Schon an den Einfallstraßen sind Beamte der Bereitschaftspolizei aufgestellt, schwer bewaffnet und maskiert bis zu den Augen. Strenge Einlasskontrollen und Straßensperren auf der einen Seite – die breite Öffentlichkeit dank eines großen Presseaufgebots auf der anderen.
An diesem Freitagmorgen beginnt der Prozess um die tödlichen Schüsse in einem Oldenburger Trockenbau-Unternehmen – dort hatte ein 38-Jähriger am 27. Juli 2017 mutmaßlich einen 65-Jährigen getötet, zudem einen 60-Jährigen mit massiven Schlägen vor allem gegen den Schädel schwer verletzt.

„Es gab die Einschätzung, dass eine Gefahr besteht“, wird Landgerichts-Sprecher Michael Hermann später das Großaufgebot an Sicherheitskräften erklären. Im Gerichtssaal selbst bleibt es hingegen ruhig.   Das 60-jährige Opfer sitzt auf der Kläger-Bank – frontal zum Tatverdächtigen, einem in Oldenburg geborenen Mann mit türkischer Staatsangehörigkeit.

Während der Nebenkläger klaren, strengen Blickes ist, weicht der Angeklagte diesem aus. Eine unangenehme Situation, wie er sie angeblich auch an besagtem 27. Juli erlebt haben will, so deutet es sich am ersten von vorerst zehn Verhandlungstagen an. Dieser dreht sich nahezu komplett um die Erklärungen des Angeklagten. Videomaterial aus den Räumen des besagten Ladenlokals wird eingespielt, allerdings nicht von der Tat (dem Angeklagten wird ein vollendeter und ein versuchter Totschlag zur Last gelegt), sondern von einer Tatortbegehung am 15. August – gemeinsam mit dem 38-Jährigen. Großformatige Lageskizzen werden den Prozessbeteiligten vorgelegt, Fotomaterial en masse, alles aus verschiedenen Perspektiven.

In diesen Filmbeiträgen wird der Angeklagte unter anderem darlegen, dass er nicht zum ersten Mal von seinem Gegenüber bedroht worden sein soll. Auch diesmal seien die Gebärden des 60-Jährigen massiv gewesen, er soll eine Waffe dabei gehabt haben. Schon einige Tage vor der Bluttat habe es Bedrohungen gegeben, erzählt dieser. An besagtem Tage sei es schließlich zu einem Streit gekommen, weswegen der Angeklagte die Polizei habe anrufen wollen. Das Telefon sei ihm aber vom 60-Jährigen aus der Hand geschlagen worden, während der 65-Jährige, das spätere Todesopfer, ihn mit einem Messer bedroht habe.

Der Angeklagte hätte deshalb eine Waffe gezückt, zwei Schüsse in den Boden abgefeuert und einen weiteren dritten zur Warnung abgegeben – ohne Erfolg. Weil der 65-Jährige mit dem Messer immer näher gekommen sei, habe er schließlich „in Notwehr“ geschossen. Drei Kugeln trafen das Opfer. Eine davon direkt ins Herz. Weil er sein Magazin leer geschossen hatte, habe er dann den 60-Jährigen „angesprungen“ und zu verhindern versucht, dass dieser seine Waffe zieht. Er wollte ihn - Zitat - „wehrlos“ machen, schlug deshalb mit seiner eigenen halbautomatischen Pistole auf ihn ein.

Tatsächlich, so bestätigt die Staatsanwaltschaft später, seien zwei Schusswaffen und ein Messer am Tatort aufgefunden worden. Grund der Tat soll Geld gewesen sein – nach Aussage des Tatverdächtigen hätten die Kontrahenten „alles, was da ist“ eingefordert.

 Während dieser Schilderungen schreibt der 60-Jährige Nebenkläger eifrig mit – offenkundig hat er eine völlig andere Version des Tathergangs.

Den Wahrheitsgehalt dieser ersten Aussage gilt es in den kommenden Wochen zu prüfen. „Im Zentrum wird sicher die Frage stehen, ob es sich um Notwehr handelte oder nicht“, sagt der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann, und: „Ich möchte sensibilisieren, dass die Beweislage und rechtliche Einordnung völlig offen ist.“ Auch die Klärung weiterer Fragen stünde bevor: Die Akten (gleich mehrere Bände voll) würden „sehr sehr viele Fragezeichen“ beinhalten.

Damit nimmt er dann auch indirekt Bezug auf den Vermisstenfall Rezan Cakici. Der 29-jährige Deutsch-Kurde ist Sohn des 60-jährigen Nebenklägers, polizeilich einschlägig aus Rockerkreisen bekannt, und verschwand drei Wochen vor jenem Unglück an der Nadorster Straße spurlos. „Zu dem gesamten Katalog gehört auch die Frage: Warum haben sich die Personen dort getroffen?“ Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Anklageschrift einen Zusammenhang bereits angedeutet: Demnach könnte neben den „geschäftlichen Beziehungen“ durchaus das Verschwinden Rezans und dessen möglicher Aufenthaltsort Thema gewesen sein.

Wenig überraschend bleibt ein wichtiger geladener Zeuge – der tatsächliche Inhaber des Geschäfts und Cousin Rezan Cakicis – der Verhandlung fern. Er weilt seit den Geschehnissen in der Türkei.

An den nächsten Verhandlungstagen wird unter anderem der 60-jährige Nebenkläger zu den Geschehnissen angehört, Gutachten folgen später. Weiter geht es am 25. Januar vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts. Grundsätzlich werde die Risikolage jedes Mal neu eingeschätzt, so Michael Herrmann, allerdings sei „davon auszugehen, dass bisherige Sicherheitsvorkehrungen auch zu den nächsten Terminen“ beibehalten werden.
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Zweiter Verhandlungstag vor dem Landgericht, zweite Version des Geschehens vom 27. Juli 2017: Wie fielen die tödlichen Schüsse in einem Trockenbau-Geschäft an der Nadorster Straße? Und vor allem: weshalb?
Nachdem vor zwei Wochen der 38-jährige Angeklagte seine Sicht der eigene Dinge schilderte und auf Notwehr verwies, sollte am Donnerstag der 60-jährige Nebenkläger als Zeuge aussagen.

Dass dies gleich dreimal so viel Zeit   in Anspruch nahm, hatte seine Gründe: Da waren seine widersprüchlichen Aussagen zur zeitlichen Abfolge der Geschehnisse am Tattag, da waren Ungereimtheiten (Finanzen, Waffenbesitz), zu denen sich der in Bremen lebende Mann nicht äußern wollte. Und plötzlich drehte sich das Stimmungsbild im laufenden Prozess.

Schutzgelder, Hells Angels, ja sogar eine mögliche Auftragsarbeit in Bezug auf die tödlichen Schüsse wurden da thematisiert, ohne konkretisiert zu werden. Staatsanwaltschaft, Verteidigung und auch Sebastian Bührmann (Vorsitzender Richter des Landgerichts) ließen mit ihren Nachfragen zwischenzeitlich die bisherige Souveränität des Zeugen schwinden.

Auf der anderen Seite der 38-jährige Angeklagte. Wie schon zum Prozessauftakt wagte er auch diesmal nicht, den Nebenkläger anzuschauen, sondern verharrte erneut mit gesenktem Blick in Stille. Bis der 60-Jährige schließlich zu seinen eigenen nebulösen „Geschäften“ im und mit dem Trockenbau-Unternehmen in der Nadorster Straße befragt wurde.

Erstmals legte sich da ein kurzes Lächeln über das Gesicht des Angeklagten.   Familienmitglieder in den Zuschauerbänken hoben erleichtert den Daumen, man tauschte vertraute, zufriedene Blicke aus. Was dies genau zu bedeuten hat, ließ sich am Donnerstag nur erahnen.

Klar aber ist, dass sich die Aussagen von Tatverdächtigem und Opfer nicht vollends decken. An besagtem Tag habe der 60-Jährige nach eigener Aussage vom Angeklagten nur wissen wollen, wo Rezan (sein seit Anfang Juli verschwundener Sohn) ist und warum Ali (Inhaber des Unternehmens) „mich töten will“. So sei es ihm zumindest vom 38-Jährigen – Teilhaber des Unternehmens – zugetragen worden.

Verwandte des 60-Jährigen hatten ihm in Vernehmungen allerdings eine gänzlich andere Motivation für den Besuch unterstellt. Demnach wollte er sich vor Ort Geld abholen – „so 2000 Euro“, wie der Zeuge selbst am Rande sagte. Von „5000 Euro“, wusste indes sein Neffe zu berichten. „Bis zu 20 000 Euro“, behauptete die eigene Tochter. Geld, das ihm zustünde, weil er Aufträge und einen rumänischen Arbeiter für das Nadorster Unternehmen „vermittelt“ habe. Schwarz. Andere vermuten Schutzgelder dahinter – so habe sich auch der Angeklagte am Tattag geäußert.

Sichtbar unangenehm war ihm dieses Thema, also fokussierte er sich immer wieder auf den Vermisstenfall. „Ich will, dass über Rezan geredet wird – sonst ist diese Verhandlung unvollständig!“ Der 60-Jährige habe lange selbst nach seinem Sohn gesucht und recherchiert, nannte in der Verhandlung auch die Namen mehrer Personen, die etwas über Rezan wüssten, ja vielmehr für dessen Verschwinden verantwortlich seien. Darunter der Angeklagte, aber auch Hells-Angels-Mitglieder wie der Inhaber des Unternehmens. Letztere hatten sich nach dem Vorfall in die Türkei abgesetzt.

Weil er sich wegen seiner Recherchen selbst in Gefahr vermutete, hätte er immer eine Pistole dabei gehabt. So auch am Tattag. Dass sein 65-jähriger Bruder ein Messer besitze, dies während des Streits im Unternehmen gegen den Angeklagten gezogen habe, konnte er sich entgegen früherer Aussagen nun nicht mehr erinnern. Er ließ über seinen Dolmetscher ausrichten: „Maßgeblich ist das, was ich hier sage.“

Wer hat wen überwältigt, wer hatte sich wann schützend in Nebenräume begeben? Woher stammt das Geld, wofür war es gedacht? Warum wollte der 60-Jährige nicht, dass der Angeklagte die Polizei ruft („Das klären wir so“)?

Einige Fragen von vielen, die es an den nächsten Verhandlungstagen zu klären gilt.

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Der Angeklagte selbst habe im Kampf die Polizei und zwei Krankenwagen gefordert, sich danach widerstandslos festnehmen lassen und auch schon vor dem Unglück die Polizei rufen wollen – sei aber vom späteren 60-jährigen Opfer daran gehindert worden: Drei von mehreren Gründen, die Rechtsanwalt Hans Meyer Mews am Freitagmorgen zugunsten seines Mandanten in die Verhandlungsrunde warf. Sein Ziel: Die Aufhebung des Haftbefehls gegen den 38-jährigen Tatverdächtigen Mustafa Y..

Auf den Tag genau sechs Monate sind seit den tödlichen Schüssen in einem Nadorster Unternehmen vergangen, der Angeklagte saß seitdem in Untersuchungshaft. Paragraph 121 der Strafprozessordnung besagt, dass diese nur aufrechterhalten werden dürfe, wenn „die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen“. Eben darauf berief sich Meyer Mews – und den Verweis, dass ein dringender Tatverdacht „spätestens nach der Vernehmung des Nebenklägers“ Necat C. (60) nicht mehr gegeben sei.

Wie berichtet, hatte sich letzterer tags zuvor (dem zweiten von zehn Prozesstagen) in zahlreiche Widersprüche zum Tathergang, den möglichen Gründen der Tat und auch den Rahmenbedingungen verstrickt und verlor an Souveränität. Auch an diesem dritten Prozesstag konnte die „Opferseite“ nicht vollends überzeugen: Die Tochter des 60-Jährigen wurde in den Zeugenstand gebeten und zu den familiären wie geschäftlichen Beziehungen befragt. Die Angriffe auf den Angeklagten wie dessen Partner Ali C. – der Inhaber des Trockenbau-Unternehmens hatte sich im Sommer mit einem Kompagnon aus Hells-Angels-Reihen gen Türkei abgesetzt – waren von ihr deutlich formuliert.

Ihre Darstellung des Vaters als friedliebenden Geschäftspartner, der am Tattag nichts Böses im Sinn hatte, fruchtete aber nicht. Im Gegenteil. Wie schon der 60-Jährige zuvor („Maßgeblich ist das, was ich hier sage“), konnte sich auch die Tochter plötzlich nicht mehr an ihre Aussagen aus früheren polizeilichen Vernehmungen erinnern. Mehr noch, sie kehrte einige gar ins Gegenteil, so dass sich diese plötzlich den väterlichen Anmerkungen in besonderem Maße ähnelten. Ihre Begründung: „Ich war psychisch labil, es war Schwachsinn, dass ich damals befragt wurde“, und: „Wenn der eigene Bruder verschwunden ist, ist man am Anfang am Ende.“

Der Vermisstenfall Rezan Cakici, Sohn des 60-jährigen Nebenklägers, wurde diesmal nur am Rande thematisiert. Die junge Frau, Mitarbeiterin eines Telekommunikationsunternehmens, erklärte, sie habe intern selbst nach Rezan recherchiert und dessen Handykontakte wie Nachrichten überprüft – woraus sie wiederum abgeleitet hätte, dass Ali C. etwas mit dem Verschwinden Rezans zu tun haben müsse. Sie zeichnete ein düsteres Bild des Mannes, nahm auch weitere Hells-Angels-Mitglieder namentlich in die Verantwortung. Dann wurde es jedoch kleinlaut – denn die Verteidigung hakte aufgrund ihrer “fragwürdigen eigenen Ermittlungen” mehrfach nach. Alles nur ein Missverständnis? Auch der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann wies die Zeugin aufgrund ihrer Aussage darauf hin, dass sie sich nicht selbst belasten müsse. Später korrigierte sie, dass die Sicherheitsabteilung des Unternehmens der Polizei mit den Informationen geholfen hätte und man sie ja falsch verstanden habe. Ein Randaspekt dieses dritten Prozesstages.

Mehr im Fokus standen am Freitag die Aussagen von Necat C.. Zweifel an ihnen wurden von zwei weiteren Zeugen genährt, die kurz vor der Tat das Ladenlokal aufgesucht hatten – ein Neffe des Angeklagten und dessen Freund. Sie waren von dem „aggressiv“ wirkenden Necat C. vor dem Unglück des Gebäudes verwiesen worden. Nach den Schüssen kamen sie zurück gerannt und sahen, wie Mustafa Y. den Nebenkläger dauerhaft zu Boden drückte, ihn „ruhig stellte“, während er in der anderen Hand eine Waffe hielt. „Ruf’ die Polizei und zwei Krankenwagen!“, habe dieser geschrien. Die angeblichen Hilferufe von Necat C. hatte offenbar kein Zeuge – trotz geöffneter Tür – vernommen.

Auch auf den Vorwurf, Mustafa Y. hätte ihn töten wollen, gab es keine konkreten Hinweise. Ein Schuss hatte ihn zwar getroffen, dieser aber ging aus nächster Nähe „nur“ ins Schienbein. Neben dem 65-jährigen Todesopfer wurde indes ein Messer gefunden. Über die Verwendung des Messers ist noch zu reden, über die Aufhebung des Haftbefehls indes werde in der nächsten Sitzung entschieden.

Die Vorzeichen dafür stünden eher ungünstig – denn der Angeklagte hat eine ellenlange Strafakte aus Körperverletzungen, Raub, Erpressung, Betrug oder auch Betäubungsmittel-Besitz. Auch bestehe möglicherweise eine Fluchtgefahr, hieß es.
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Die tödlichen Schüsse an der Nadorster Straße in Oldenburg auf einen 65-Jährigen am 27. Juli 2017 und die Attacke auf dessen fünf Jahre jüngeren Bruder hat das Gericht als Notwehr eingestuft. Die Oldenburger Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Sebastian Bührmann hat  den 38-jährigen Angeklagten nur wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Mit dem Urteil erfüllte die Kammer den Antrag von Oberstaatsanwalt Florian Eiser.

Rechtlich gesehen seien zwar die Tatbestände Totschlag, versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung erfüllt, die Taten seien aber aufgrund einer Notwehrlage gerechtfertigt gewesen, sagte Richter Bührmann. Der Angeklagte, der in Haft bleibe, müsse nun aber damit leben, einen Menschen getötet zu haben.

Dreh- und Angelpunkt des ganzen Dramas ist das spurlose Verschwinden des Deutsch-Kurden
Rezan Cakici. Der 29-Jährige wird seit dem 3. Juli vorigen Jahres vermisst. Die Familie des Verschwundenen ist der Überzeugung, dass der Angeklagte – Mitinhaber einer Trockenbaufirma an der Nadorster Straße – sowie zwei seiner Geschäftspartner mit dem Verschwinden des Ex-Rocker-Club-Mitglieds Cakici zu tun haben.

Die beiden Geschäftspartner hatten sich in die Türkei abgesetzt. Blieb noch der Angeklagte für eine persönliche Konfrontation.
Der bei der Tat schwer Verletzte ist der Vater des 29-Jährigen Vermissten. Der Getötete war dessen Onkel. Cakicis Vater hat im jetzigen Prozess als Nebenkläger teilgenommen. Es sei wohl das Schlimmste, was passieren könne, wenn der eigene Sohn verschwunden sei, sagte Richter Bührmann zu dem 60-Jährigen. Aber mit der Aktion gegen den Angeklagten seien Grenzen überschritten worden, die man nicht hinnehmen werde.

Am Tattag sollte der Angeklagte in den Geschäftsräumen der Trockenbaufirma zur Rede gestellt werden. Der 60-Jährige, der eine Waffe dabei hatte, hatte den Angeklagten zu einem letzten Gespräch gedrängt, seinen Bruder hatte er gleich mitgenommen. Die Situation eskalierte. Die spätere Notwehrlage des Angeklagten wurde durch mehrere Indizien belegt.

Einen Tag vor dem tödlichen Ereignis hatte der 38-Jährige der
Polizei gemeldet, von der Familie Cakici ständig unter Druck gesetzt zu werden. Auch am Tattag, als die Situation außer Kontrolle geriet, hatte der Angeklagte versucht, die Polizei anzurufen. Der Hörer wurde ihm aber aus der Hand geschlagen.

Den Feststellungen zufolge hatte der später Getötete den Angeklagten dann mit einem Messer bedroht. Der Angeklagte wich zurück, zückte seine Waffe und gab zwei Warnschüsse in den Boden ab. Der 65-Jährige kam immer näher. Er war nur noch 50 bis 80 Zentimeter entfernt, da schoss der Angeklagte das Magazin leer. Er traf den 65-Jährigen tödlich.

Auf Cakicis Vater schlug er dann mit der Waffe ein, weil dieser zu seiner eigenen Waffe greifen wollte. Richter Bührmann kritisierte scharf, dass alle Beteiligten wie selbstverständlich bewaffnet seien. Man werde das in Oldenburg nicht dulden. Kehrt nach dem Urteil nun Frieden ein? Wohl kaum.

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Der Stand der Dinge

Kinder, Tiere und Blaulicht gehen immer - so heißt es etwas zynisch bei Medienkritikern. Das bedeutet nichts anderes als: Genau diese Themen sind Garanten für möglichst viele Leser. Wenn man sich nun durch die Klickraten des vergangenen Jahres blättert, dann trifft diese Aussage mindestens beim Blaulicht zu. Die Schießerei vom 27. Juli (samt zugehöriger Berichterstattung) gehörte demnach zu den TOP 5-Facebook-Posts mit den meisten erreichten Personen, war der meistgeklickte NWZ-Artikel des Jahres auf Facebook und animierte sogar die meisten Facebook-Nutzer zur Interaktion (also Reaktionen, Kommentaren und Shares).  

Auch auf der Internetseite der Nordwest Zeitung - www.NWZonline.de - war dieser Vorfall mit weit über 150.000 der zweitmeistgeklickte. Lediglich der Messerangriff in der Innenstadt (31. Mai) hatte noch einmal ein Drittel mehr Leser verzeichnet.

Nicht zuletzt: Google. Auch hier landeten beide Taten unter den Top 3 der meistgeklickten NWZ-Artikel. 

Sprich: Diese Vorfälle haben Oldenburg ganz offensichtlich in besonderer Weise bewegt. Und darauf deuten auch die zahlreichen hinterlassenen Kommentare auf unserer Website wie bei Facebook oder Youtube hin.

Ein kleiner, nicht korrigierter Auszug:

* "Das kann doch nicht wahr sein so Langsam fühle ich mich in Oldenburg nicht mehr so sicher ich muss dort 5 Tage die Woche hin wegen Schule und muss jedes mal beim Bahnhof aussteigen obwohl es vom Bahnhof und zur Schule nur ein paar Fußschritte sind fühle ich mich wirklich nicht mehr sicher "

* "Es ist genauso sicher oder unsicher wie vor 20 Jahren, nur die Medien berichten jetzt schneller. Früher hätte es Morgen in der Zeitung gestanden und du hättest es nicht mal mitbekommen."

* "Jaaaaaa klar, man muss ja in diesem Land ja auch in ständiger Todesangst leben, gerade in Oldenburg wo um Zehn die Bürgersteige hochgeklappt werden. Jetzt ist mal was passiert und schon geht das Scheiss Geheule los. Freut euch doch, endlich ist hier auch mal was los (gnarf,,gnarf,gnarf) Als ob in Oldenburg dauernd geballert wird."

* "Das wird ja immer schlimmer mit den Leuten, die alles besser als die Polizei wissen und auf ihren Weg bestehen. Mord und Totschlag hats immer gegeben, nur keine Social Media und keine Respektlosigkeit den Leuten gegenüber, die in diese Situation hinein müssen. Wo soll das noch hin führen"

* "Rockerkrieg um Ehre und Rache - und das Mitten in Oldenburg. Unfassbar..."


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Die NWZ wird die Verhandlungen um die Todesschüsse von Nadorst vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts in den kommenden Wochen begleiten und diese Dokumentation für NWZonline.de und Nordwest-Zeitung entsprechend erweitern wie aktualisieren.
 
Text und Fotos:
Marc Geschonke

Weitere Fotos:
Christian J. Ahlers (NWZ)
Andre van Elten (261 News)
Deutsche Presse Agentur (dpa)

Titelbild:
Lina Brunnée




















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