Ein Besuch beim Landwirt und in der MolkereiDer Weg der Milch - von der Kuh bis ins Glasvon Ellen Kranz
Laut einer Statistik der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung haben die Deutschen im Jahr 2015 pro Kopf im Schnitt rund 90,8 Kilogramm Frischmilcherzeugnisse verbraucht. Darunter fallen unter anderem auch Butter, Käse oder Sahneerzeugnisse.
Doch wo kommt die Milch eigentlich her? Wie sieht das in einem Stall aus? Und wie wird die Milch dann weiterverarbeitet? Die NWZ hat sich den Weg der Milch einmal angeschaut - in einem landwirtschaftlichen Betrieb und einer Molkerei.
Neues Leben beginnt
Die Landwirtin Lara Stuhr, 27 Jahre, wirft einen Blick in die Box. Hier kalben die Kühe nach einer Trächtigkeitsdauer von durchschnittlich 284 Tagen, erklärt sie. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Thomas Vogelsang, 26, unterstützt sie den Betrieb in Rhade (Landkreis Oldenburg), der von ihren Eltern Antje, 54, und Gerold Stuhr, 60, geführt wird. Eine der Kühe blickt in die Richtung der Landwirtin.
"Fast alle Kühe kalben bei uns alleine ohne Hilfe", sagt Lara Stuhr. Dennoch: "Wir haben oben an einer Ecke eine Kamera angebracht, mit der wir sie Tag und Nacht beobachten und so überwachen können."
Die Milch mit besonderen Abwehrstoffen
Die Kuh bleibt nach der Kalbung noch ein bis zwei Tage im Strohstall. "Dort haben wir sie besser im Blick", sagt Lara Stuhr. Trotzdem werde sie jeden Morgen und Abend zum Melken gebracht. "Wenn alles in Ordnung und die Kuh gesund ist, kommt sie danach in den Boxenlaufstall zu den anderen Kühen", erklärt Thomas Vogelsang.
Iglus für Kälber
Die männlichen Kälber werden nach zwei Wochen verkauft - ab jetzt bleiben nur die weiblichen Tiere auf dem Hof der Stuhrs.
Gegenüber stehen etwas größere Iglus. Wieder gibt es einen kleinen, mit Stroh ausgelegten Auslauf. Der Unterschied: Vier bis sechs Kälber teilen sich eine Box. Einige stehen _ andere liegen gemütlich im Stroh. Diese Kälber sind bereits älter - dürfen aber weiterhin so viel Milch trinken, wie sie wollen. "'Ad libitum' heißt das", sagt Lara Stuhr. "Das können schon mal bis zu 13 bis 15 Liter pro Kalb sein." Eine Überwachung mit dem Computer gibt es bei ihnen auf dem Hof nicht. "'Ad libitum' ist natürlicher und ein einfaches System", sagt Gerold Stuhr.
In den Gruppen bekommen die Kälber neben der Milch parallel auch Kälberkraftfutter und Wasser. "So können sie sich daran schon gewöhnen", sagt Thomas Vogelsang.
Ein Leben für die Tiere
Um Punkt 8 Uhr ist Frühstückszeit. Für die Verpflegung der Familie und der Angestellten ist Antje Stuhr zuständig. Sie kümmert sich außerdem um die Tätigkeiten im Büro - Buchhaltung fällt darunter. Um 12 Uhr gibt es Mittag und eine Pause bis 13.15 Uhr. Um 16 Uhr wird Kaffee serviert, und um 18 Uhr heißt es dann Feierabend.
"Struktur ist gut", sagt Thomas Vogelsang. So würde niemand lange nachfragen, und jeder hätte die Zeiten immer im Kopf.
Im Kindergarten
In den Ställen bleiben die Jungtiere - nun Rinder genannt -, bis sie zehn bis zwölf Monate alt sind. Anschließend kommen sie auf eine Weide neben den Ställen. "Im Winter werden die Tiere dort zugefüttert", sagt Gerold Stuhr.
"Die Jungtiere sind ab einem Alter von neun bis zwölf Monaten geschlechtsreif", sagt Lara Stuhr. Auf ihrem Hof würden die Tiere mit circa 15 bis 16 Monaten zum ersten Mal besamt.
Die Geburt
Nach der ersten Kalbung wird ein Rind als "Kuh" bezeichnet. Ein paar Tage darf sie sich noch ausruhen, dann kommt sie in den Boxenlaufstall. Mindestens mindestens zweimal täglich wird sie nun gemolken.
Kühe, die wieder tragend sind, werden sechs bis acht Wochen vor der anstehenden Geburt in den Trockensteherstall verlegt. Dort werden sie nicht mehr gemolken und bekommen eine Pause, um sich auf die Geburt vorzubereiten. "Hier bekommen sie auch anderes Futter", sagt Lara Stuhr.
Zwei bis drei Wochen vor der Geburt kommen die Kühe dann in den Abkalbestall - und der Rhythmus beginnt von vorne.
Ab in den Stall
Unterhalb der Spalten der Laufflächen wird die Gülle aufgefangen und dann auf den Feldern als Gülle weiter verwendet. Ein Roboter säubert die Spalten regelmäßig. Einzig die Boxen müssen händisch gereinigt und neu eingestreut werden.
Auch Tränken mit Wasser befinden sich in dem Gebäude. "Die Kühe trinken rund 60 bis 100 Liter pro Tag", sagt Lara Stuhr.
Der Kreislauf der Kühe
Die Kühe auf dem Hof der Stuhrs werden nach circa sechs bis acht Wochen wieder besamt. "Wenn die Kuh dann nach rund 21 Tagen wieder brünstig wird, ist das ein Zeichen, dass sie nicht tragend geworden ist", erklärt die junge Landwirtin. "Dann wird sie erneut besamt."
Alle vier Wochen kommt der Tierarzt, um per Ultraschall zu untersuchen, ob die Kühe und Rinder tragend sind. "Er ist auch unser Berater und schaut sich alle Tiere an", sagt Thomas Vogelsang. "Natürlich kommt er auch sonst, wenn ein Tier krank ist."
Einmal Milch, bitte!
Seit 2002 hat Familie Stuhr einen Melkroboter, seit 2011 einen zweiten. Rund 120.000 Euro kostet einer in der Anschaffung. Von ihm können sich die Kühe rund um die Uhr melken lassen. "Wir kontrollieren jeden Morgen und Abend, ob alle gemolken wurden", sagt Thomas Vogelsang. Mindestens zweimal am Tag sei Pflicht.
Im Schnitt kämen die Kühe rund dreimal pro Tag zum Roboter. "Sie mögen den gerne, weil es dort auch Kraftfutter gibt", sagt Thomas Vogelsang. "Die sind wie Leckerlis."
Aber: Die Kühe werden erst gemolken, wenn auch genug Milch da ist. "Sonst gehen die Türen wieder auf."
Im Durchschnitt sechs bis sieben Jahre lang können die Kühe Milch geben - manche aber auch an die zwölf Jahre. "Wenn das Besamen auch nach einigen Versuchen nicht mehr klappt, müssen sie leider zum Schlachter", sagt Lara Stuhr. Zum Leben in der Landwirtschaft gehört eben auch das Sterben.
Ein Roboter für die Kühe
Nach jedem Melken reinigt der Roboter das Melkgeschirr und die Milchleitungen mit Heißwasser und säubert die Bürste mit Peressigsäure. Dreimal täglich gibt es zudem eine große Hauptreinigung mit Reinigungsmittel.
"Im Durchschnitt geben unsere Kühe circa 30 Liter Milch am Tag", sagt Lara Stuhr. Das macht rund 3000 Liter am Tag.
Die Milch fließt
Die "normale" Milch fließt von dem kleinen Tank durch einen Filter über die Rohre an den Decken in den großen Tank mitten im Raum. Dieser kühlt sie auf vier Grad Celsius. Bis der Lkw der Molkerei kommt, bleibt die Milch in dem Tank.
"Alle zwei Tage wird die Milch vom Tankwagen abgepumpt und zur Molkerei gebracht", sagt die Landwirtin. Anschließend wird der Tank gereinigt, und neue Milch kann wieder einfließen.
Ein Büro im Stall
Auf dem Bildschirm sind viele Tabellen mit zahlreichen Daten und Tortengraphiken zu sehen. Jede Kuh hat an ihrem Halsband einen Responder der zum Beispiel die Bewegung der Kühe oder auch die Wiederkauaktivität übermittelt. So werden auffällige Tiere leichter erkannt.
So seien zum Beispiel die Eutergesundheit, die Melkanzahl oder auch die Brunst auf einen Blick ersichtlich, erzählt Lara Stuhr.
Die Kommandozentrale
"Hier geht jeder Tropfen Milch durch", sagt Weise. Zwei Milchtechnologen kontrollieren tagsüber die Prozesse. An den einzelnen Monitoren erklärt Weise die einzelnen Stationen, die die Milch in der Produktion durchläuft: Seperaration, Mikrofiltrarion, Rückmischung, Pasteurisierung, Homogenisierung, Kühlung, Abfüllung und schließlich Lagerung.
Die Milch macht Meter
Nach diesem Prozess wird ein Teil der Sahne wieder zurückgemischt. So erhält die Milch ihren jeweiligen Fettanteil: 1,5, 3,5 oder 3,8 %.
Und weiter geht es: Pasteurisierung, sprich die kurzzeitige Erwärmung auf Temperaturen von mindestens 72 Grad, und Homogenisierung, die Zerkleinerung und gleichmäßige Verteilung der in der Milch enthaltenen Fettkügelchen unter hohem Druck, stehen an.
"Danach wird die Milch gekühlt und in vier Steriltanks gelagert", erzählt Weise. Denn: Die Milch könne nicht immer gleich 1:1 abgepackt werden.
Das kommt in die Tüte
Dann kommt das Wichtigste: Die Maschine füllt genau einen Liter Milch mit Druck in die Tüte. Schnell schweißt sie die Verpackung zu - nun verlässt die Milchtüte auf dem schwarzen Fließband die Maschine.
Auf dem Fließband
Dann geht es für die Milchpackungen weiter über das Fließband. Ein Sticker wird einige Kurven später angebracht.
Rund 9000 Liter Milch gehen pro Stunde über ein Band. In der Molkerei Ammerland gibt es drei Bänder für Frischmilch, eines für H-Milch und eines für Sahne.
Viel Logistik im Kühlhaus
Eine andere Maschine wickelt die Paletten mit durchsichtiger Folie ein. Entfernt erinnert die Drehbewegung an ein Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt. Über weitere Rollbänder kommen die verpackten Paletten ins Kühlhaus. Dort werden sie bei fünf Grad gelagert.
Im Riesenkühlschrank
Dabei gibt es die Marke "Ammerländer" erst seit 2001. Früher hieß sie "igemo". "Wir verarbeiten nur die eigene Milch von den Höfen unserer Genossen und keine zugekaufte", sagt Harms. Bereits im Jahr 1885 schlossen sich sieben Ammerländer Landwirte zu einer der ersten Molkereigenossenschaften Norddeutschland zusammen. Die Grundlage der Molkerei Ammerland war geschaffen.
Seit 2011 gibt es nun das "Weidemlich-Programm". Rund die Hälfte aller 2000 Zulieferer beteiligen sich mittlerweile daran. Die Vorgabe der Molkerei ist, dass die Kühe mindestens 120 Tage im Jahr sechs Stunden täglich auf der Weide stehen müssen. "Das wird extern und intern überprüft", sagt Harms und wendet sich gemeinsam mit Weise wieder der Milch zu - so manch ein Liter muss heute noch über das Fließband laufen.